Bildungskrise in Berlin: Dritt- und Achtklässler scheitern an Mindeststandards

Ein Junge vergräbt das Gesicht in seiner Armbeuge

Immer mehr Kinder und Jugendliche erreichen die Mindestanforderungen bei den Vergleichsarbeiten nicht. (Quelle: Canva)

Berlin. Die jüngsten Ergebnisse der Vergleichsarbeiten (VERA) zeigen einen drastischen Rückgang der schulischen Leistungen bei Dritt- und Achtklässler:innen. Fast die Hälfte der Drittklässler:innen erreicht nicht einmal die Mindeststandards in den Kernkompetenzen Lesen und Rechnen. Besonders dramatisch ist die Lage an Integrierten Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen, wo die meisten Achtklässler:innen die Mindestanforderungen verfehlen.

VERA 3: Ein Blick auf die Grundschulen

Die Vergleichsarbeiten VERA 3, die jährlich in den dritten Klassen durchgeführt werden, haben in Berlin alarmierende Ergebnisse gebracht. 43 Prozent der Drittklässler:innen erreichen die Mindeststandards im Lesen und Hörverständnis nicht, während 46 Prozent in Mathematik scheitern. Im Detail erreichen nur 36 Prozent der Schüler:innen der dritten Klassen die Regelstandards im Lesen, 41 Prozent im Zuhören und 35 Prozent in Mathematik. Besser als die Regelstandards schneiden nur 17 Prozent im Lesen, 23 Prozent im Zuhören und 19 Prozent in Mathematik ab. Dies bedeutet eine weitere Verschlechterung gegenüber dem Vorjahr.

VERA 8: Auch Defizite an den weiterführenden Schulen

Besorgniserregend sind auch die Ergebnisse von VERA 8 in den achten Klassen, insbesondere an Integrierten Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen. Hier verfehlen 74 Prozent der Schüler:innen die Mindestanforderungen in Mathematik, während 62 Prozent im Lesen scheitern. In der Rechtschreibung bleiben nur 30 Prozent der Jugendlichen unter den Mindeststandards. Im Lesen erreichen lediglich acht Prozent der Achtklässler:innen den Regelstandard oder mehr, und nur ein Prozent schafft dies in Mathematik. In Englisch liegen 18 Prozent der Schüler:innen im Leseverstehen und 16 Prozent im Hörverstehen auf dem B2- und C1-Niveau.

Bildungsspitze Gymnasium?

An den Gymnasien sind die VERA-Ergebnisse insgesamt besser als an den anderen Schularten, aber auch hier zeigen sich Schwächen. In Mathematik (Kompetenzbereich Zahlen) erreichen 62 Prozent der Gymnasiast:innen den Regelstandard oder mehr, im Bereich Daten und Zufall sind es 56 Prozent. Auch in Deutsch schneiden die Jugendlichen relativ gut ab: Im Lesen erreichen 73 Prozent den Regelstandard oder mehr, in Orthografie 92 Prozent. Besonders positiv stechen die Englischkenntnisse hervor, wo 90 Prozent der Gymnasialschüler:innen im Leseverstehen das Niveau B1 oder höher erreichen und 95 Prozent im Hörverstehen. Allerdings verfehlen auch an den Gymnasien einige die Mindeststandards: 12 Prozent im Lesen und 21 Prozent im mathematischen Bereich Daten und Zufall. 

Wie es nun weitergeht

Nachdem zuletzt die VERA-Ergebnisse in Baden-Württemberg für Schlagzeilen sorgten, lösen die Ergebnisse auch in Berlin eine politische Debatte aus. Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) nannte die VERA-Ergebnisse “nicht akzeptabel” und will baldmöglichst gegensteuern. Weiter kritisiert sie das Vorgehen ihrer Vorgänger:innen aus der SPD, die die Bildungspolitik in Berlin über ein Vierteljahrhundert lang geprägt hätten. Günther-Wünsch betonte, dass es nicht ausreiche, einfach mehr Ressourcen ins System zu geben, sondern dass eine gezielte Qualitätsstrategie notwendig sei. An Berliner Grundschulen sollen deshalb sogenannte Fachleitungsstellen für Deutsch und Mathematik eingerichtet werden, um den Fokus mehr auf diese Kernfächer richten zu können. Die ersten 72 Stellen für die 360 öffentlichen Grundschulen seien bereits ausgeschrieben und weitere sollen folgen.

Die AfD nennt die Ergebnisse ein "katastrophale[s] Versagen des Berliner Schulsystems". Franziska Brychcy, die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, fordert eine schnelle Umsetzung der geplanten Fachleitungsstellen und betonte die Notwendigkeit einer besseren Verteilung der Lehrkräfte sowie eine Einführung an allen Grundschulen der Hauptstadt. Marianne Burkert-Eulitz von den Grünen kritisiert die bisherige Steuerung der Lehrkräfteverteilung und fordert gezielte Maßnahmen, um die besten Lehrkräfte an die bedürftigsten Schulen zu bringen. 

Auch Vertreter:innen aus der Wirtschaft beobachten die VERA-Ergebnisse mit Sorge. So sagt Andreas Schulz von den Unternehmerverbänden Berlin-Brandenburg gegenüber dem rbb, dass die Lücken eine “riesige Hypothek für den Wohlstand der Zukunft” sind. Weiterhin warnt er vor den langfristigen wirtschaftlichen Folgen des Bildungsrückgangs und fordert eine Konzentration auf die Kernkompetenzen Lesen und Rechnen. Essenziell dafür sei, dass Lehrkräfte von Verwaltungsaufgaben befreit werden.

Um die Situation zu verbessern, plant der Berliner Senat, die Ergebnisse der VERA-Tests künftig automatisch an die Schulaufsichten weiterzugeben. Diese sollen in Gesprächen mit den Schulen konkrete und verbindliche Ziele und Maßnahmen festlegen. Ein weiterer wichtiger Schritt soll die Einführung des Lesebands sein, einer systematischen Leseförderung, die in Hamburg bereits erfolgreich umgesetzt wird. 

Die Berliner Bildungsverwaltung sieht in diesen Maßnahmen einen wichtigen Schritt, um die Qualität des Unterrichts zu verbessern und die Leistungsfähigkeit der Kinder und Jugendlichen zu steigern. Die kommenden Monate und Jahre werden zeigen, ob die eingeleiteten Maßnahmen die gewünschten Verbesserungen bringen.

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