Bildungsgewerkschaft zum Positionspapier zu Reformbedarfen und Berechnungen zu Fehlzeiten pädagogischer Fachkräfte der Bertelsmann Stiftung: dramatisch hohe Ausfälle durch Krankheit an den Kitas
Frankfurt a.M. – Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sieht mit Blick auf die heute vorgestellten Zahlen zu Reformbedarfen und Berechnungen zu Ausfallzeiten pädagogischer Fachkräfte der Bertelsmann Stiftung dringenden Handlungsbedarf aller Verantwortlichen, um die Beschäftigten in der frühkindlichen Bildung zu entlasten. „Die Fachkräfte in den Kitas sind stark überlastet und stecken in einer ernsten Krise. Durch die hohen Krankheitsausfälle gerät das Personal zunehmend unter außerordentlichen Druck. Das gefährdet die Qualität der frühkindlichen Bildung stark“, sagte Doreen Siebernik, GEW-Vorstandsmitglied für Jugendhilfe und Sozialarbeit, am Dienstag in Frankfurt. „Jetzt sind schnelle und gezielte Maßnahmen von Bund und Ländern notwendig, um den Personalengpass zu beheben. Es muss sichergestellt werden, dass eine qualifizierte Betreuung, Bildung und Erziehung der Kinder gewährleistet bleibt, Kinder haben ein Recht darauf!“
Siebernik warnte davor, die Standards für pädagogische Qualifikationen zu senken, um die Personalnot zu kompensieren. In einigen westlichen Bundesländern gäbe es besorgniserregende Tendenzen, nicht ausreichend qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Vertretungspersonal einzusetzen. „Diese Entwicklung ist brandgefährlich“, betonte das GEW-Vorstandsmitglied. „Wenn unqualifiziertes Personal eingesetzt wird, erfordert das die zusätzliche Anleitung und Unterstützung durch Fachkräfte. Das erhöht deren Arbeitslast weiter und beeinflusst die Qualität der Betreuung negativ.“ Es sei daher entscheidend, die in der Fachkräftestrategie angestrebten Maßnahmen umzusetzen und dafür eine nachhaltige und gute Finanzierung sicherzustellen. „Die Menschen, die ungelernt in die Einrichtungen kommen, laufen Gefahr, in dem System verbrannt zu werden. Es muss sichergestellt sein, dass Träger und Kommunen dieses Personal nachqualifizieren und dabei von Bund und Ländern unterstützt werden.“
Eine weitere Herausforderung sieht Siebernik darin, dass es keine einheitlichen Regelungen zur Strukturqualität der frühkindlichen Bildung gibt. So bestünde im Augenblick in Ostdeutschland bei sinkenden Kinderzahlen beispielsweise die Chance, Fachkräfte besser zu verteilen. Jedoch fehle es an entsprechenden Gesetzen, dies effizient umzusetzen. Um die Personalsituation langfristig zu stabilisieren und Vertretungen zu gewährleisten, sprach sich die GEW-Kita-Expertin dafür aus, dass Bund und Länder im Rahmen des Kita-Qualitätsgesetzes gemeinsame wissenschaftliche Standards festlegen, die bundesweit gelten. „Die Bundesregierung ist eine konkrete Verbesserung der Situation bisher nicht angegangen und hat ihr Wort aus dem Koalitionsvertrag gebrochen“, unterstrich Siebernik. „Wenn die Beschäftigten entlastet und dazu befähigt werden sollen, in ihren Einrichtungen individuelle Bildungsprozesse zu unterstützen, dann müssen die Arbeitsbedingungen entsprechend ausgerichtet sein.“
Bund, Länder und Kommunen müssten dringend handeln. „Die Vorschläge, um die Krise zu lösen, liegen auf dem Tisch. Die GEW ist zu einem lösungsorientierten Dialog bereit“, hob Siebernik hervor. Sie wies auf die gesellschaftliche Verantwortung aller hin, um das System nachhaltig zu stabilisieren und qualitativ weiterzuentwickeln: „Die GEW setzt sich für ein bundesweites Kita-Qualitätsgesetz mit einheitlichen Standards sowie für eine umfassende Fachkräfteoffensive ein. Zentral sind dabei eine bessere Fachkraft-Kind-Relation, mehr Zeit für Leitungsaufgaben in der Kita, Zeit für Vor- und Nachbereitung, das Recht auf Fort- und Weiterbildung sowie Fachberatung.“
Info: Die Ausfälle durch Krankheit bei den Fachkräften in der Kindertagesbetreuung sind im Jahr 2023 dramatisch. Durchschnittlich fehlten Erzieherinnen und Erzieher fast 30 Tage im Jahr. Das liegt deutlich über dem Schnitt von rund 20 Tagen bei anderen Berufsgruppen. Auch der Krankenstand von rund 8 Prozent in der Kindertagesbetreuung liegt deutlich über dem Durchschnitt von etwa 6 Prozent in anderen Branchen.
Die Gründe für diese hohen Fehlzeiten sind laut den Autorinnen der Bertelsmann-Studie vielfältig. Atemwegserkrankungen sind die häufigste Ursache, gefolgt von psychischen Erkrankungen. Diese sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen und liegen weit über dem Durchschnitt anderer Berufe. Die durch die Krankheitsausfälle anhaltende Überlastung des Kita-Personals wirkt sich massiv auf die Qualität des Angebots der Kindertagesstätten aus. Um den Kreislauf aus Personalmangel und wachsendem Druck zu durchbrechen, fordert die Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Fachkräfte-Forum verbindliche gesetzliche Maßnahmen. Eine klare Regelung zur Finanzierung qualifizierten Vertretungspersonals für Krankheitsausfälle sei dringend notwendig. Auf Grundlage der derzeitigen Ausfallraten müssten bundesweit fast 97.000 zusätzliche Vollzeitstellen geschaffen werden. Das bedeute jährlich zusätzliche Personalkosten in Höhe von etwa 5,8 Milliarden Euro.