Quelle: Netzverb
Unsere Sprache ist ein Wunder an Worten, der wir uns in unterschiedlichster Form bedienen können. Wir können sie beliebig zusammensetzen, ausdrücken, mit Intonation versehen. Auf eine Weise zu reden, wird also von bestimmten Spracheigenschaften begleitet, die auch dadurch bedingt sind, in welchen Dialekträumen wir uns aufhalten, bewegen und aufgewachsen sind. Vom Lautwandel begleitet, entstand ein sprachlicher Reichtum an Varianten, sich überall anders auszudrücken – Dialekte sind arm an abstrakten Ausdrücken der Sprachnorm, dafür voll mit sozial markierten Vokabeln, die sich vor dem Absterben in der Hochsprache bewahren, und sind somit zum echten Kulturgut geworden. Die unaufhaltsame Mobilisierung der Gesellschaft führt dazu, dass deren Verbreitung abnimmt und der Spracherhalt von Varietäten zurückgeht. Rar und selten sind bereits das Sorbische, das Jiddische oder auch die nordfriesisch Sprechenden geworden. Echte Dialektler, die ihrer regionalen Mundart mächtig sind, lassen sich häufig in der älteren Bevölkerung finden. Mit den jüngeren Altersgruppen hingegen geht unweigerlich immer mehr eines regionalen Sprachgebrauchs verloren. Den von UNESCO ins Leben gerufenen Weltgedenktag zur “Förderung sprachlicher und kultureller Vielfalt und Mehrsprachigkeit" nehmen wir heute zum Anlass, um über den Erhalt und Rückgewinn an Dialekten in Schulen zu berichten. Denn warum ein erweitertes Sprachrepertoire aufgeben, wenn es doch einen sprachbildenden, aber auch kollektiven Wert in sich trägt?
Nicht nur innerhalb Deutschlands sind Sprachen vom Aussterben bedroht: Über die Hälfte aller weltweit gesprochenen Sprachen sind im Zerfall. Jährlich wird am 21. Februar an die Bedeutung von Sprache erinnert, die wir im alltäglichen Leben als gewöhnliches Werkzeug für unsere Kommunikation nutzen. Statistisch betrachtet ist dies nicht selbstverständlich, denn von rund 6.000 Sprachen, die heute weltweit gesprochen werden, verschwindet eine davon im Zweiwochentakt. Zunehmend mehr funktionale Domänen wie Hochschulen übernehmen aufgrund von Sprachbarrieren die geglättete Standardsprache vollständig, wobei die Einfärbung durch Identität und Regionalität im Sprachbild verblasst. Vor allem das Englische prescht immer weiter vor und verdrängt den Sprachgebrauch kleinerer Kollektive, auch von Bevölkerungsgruppen. Zustande kommt dadurch nicht die Vereinfachung von eigenwilligen, spezifisch eigentümlichen Sprachen, sondern schlichtweg ein Schwund von kulturellem Erbe und Vertrautheit. Der Internationale Tag der Muttersprache steht damit sowohl für ein besonderes Bewusstsein gegenüber der kulturellen Tradition von Sprache, als auch dem Gebrauch von Muttersprache und deren Förderung. Seit dem Jahr 2000 setzen sich die Vereinten Nationen verstärkt für die muttersprachliche Bildung ein. Das zeigt sich in weltweiten Fortschritten: Kindern wird häufiger ein Dialekt beigebracht und auch in der Öffentlichkeit wird häufiger mit Dialekt gesprochen. Deshalb plädiert der Deutsche Hochschulverband seit langem für eine "bewusst gestaltete Mehrsprachigkeit".
Sprachwissenschaftler ließen in den 70er Jahren noch kein gutes Wort an der Mehrsprachigkeit verlauten. Die Abkehr vom Dialekt bedeutete Einsprachigkeit: Hochsprache, ein sogenannter Standard, der wenig sprachliches Kontinuum zu dialektnahen Umgangssprachen ermöglichte, fand Einsatz bei der Abwehr von Sprachbarrieren und Lernschwierigkeiten in Bezug auf Orthographie. Mit der Zeit wandelte sich der Sprachgebrauch hin zu dem, was wir heute als innere Mehrsprachigkeit bezeichnen und die Fähigkeiten verbindet, zwischen einem sachlichen und lockeren Stil von Dialekt und Hochsprache situativ wechseln zu können. Erkenntnisse der DESI-Studie aus dem Jahr 2008 wiesen schließlich auf eine sprachfördernde Entwicklung bei Kindern hin, welche durch Ausbildung von Mehrsprachigkeit immense Vorteile beim Erlernen von Fremdsprachen verzeichnen konnten. Ebenso fördere sie der Pisa Studie von 2010 nach zufolge sprachliche Variationskompetenz und abstraktes Denken, was auf ein höheres Sprachbewusstsein hindeutet. Eine Hamburger Forschungsstudie zeigt außerdem, dass mehrsprachige Kinder auf einem höheren Niveau Sprachen reflektieren bzw. analysieren können, als einsprachig Sprechende. Wer also einen Dialekt als Muttersprache erlernt und sich im Verlauf des Lebens die Standardsprache aneignet, verfügt über deutlich höhere Sprachkompetenzen. Forscher der Universität Oldenburg könnten diese Annahme bestätigen, denn laut einer Langzeitstudie machten Dialektsprechende 30 Prozent weniger Rechtschreibfehler in Aufsätzen. Dabei umfasst Mehrsprachigkeit jedoch immer die Sprachlernbiographien des einzelnen. Spracherwerb ist daher abhängig vom sprachlichen Input und davon, in welchem Alter man mit einer Sprache in Kontakt kommt.
Er verrät sehr viel über uns, der Dialekt, aber vor allem gibt er uns als Erstsprache ein Zugehörigkeitsgefühl. Der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Markus Rösler (Grüne) trifft es auf den Punkt und formuliert es als ”Sympathieverbindung, durch die man sich manchmal präziser und genauer ausdrücken könne”. Dialektsprache ist für ihn Teil seiner Identifikation. Mit der landesweiten Dachverbandsgründung für Dialekte bringt Rösler als Hauptinitiator mehr als 50 Vertreter von Dialekt- und Mundartenvereinen, Wissenschaftler der Dialektforschung und weitere Gesellschaften und Fördervereine zusammen. Ein Mundartenwettbewerb soll jüngere Menschen in den sozialen Medien dazu auffordern, Schulprojekte wie selbstgeschriebene Gedichte, Lieder oder Vorträge in Mundart einzureichen. Einsendeschluss ist der 31. März 2023 – Wie wäre es also mit einem YouTube Video im milden Basler Dialekt? Den Unterricht ins Hochdeutsche zu übersetzen, lohnt sich demnach nicht. Es wäre sogar ziemlich unzeitgemäß, denn wir alle sprechen ganz normal Deutsch, nur eben mit Dialekt.