Quelle: Phil Dera / Forum Bildung Digitalisierung
In einer zunehmend digitalen Welt wird die Rolle der Bildung immer wichtiger, um die nächste Generation auf die Herausforderungen von morgen vorzubereiten. Jacob Chammon ist ein Digitalisierungsexperte, der sich seit Jahren für die Digitalisierung der Schulen einsetzt. Er ist Vorstand im Forum Bildung Digitalisierung, einem Netzwerk von Experten, das sich für die Förderung digitaler Bildung einsetzt. In diesem Interview sprechen wir mit Jacob Chammon über die Bedeutung der Digitalisierung für die Bildung, den aktuellen Stand des Digitalpakts und die Rolle des Forum Bildung Digitalisierung bei der Umsetzung von digitalen Lernkonzepten in der Schule.
Jacob Chammon ist seit dem 1. April 2020 geschäftsführender Vorstand des Forum Bildung Digitalisierung. Er war Schulleiter der Deutsch Skandinavischen Gemeinschaftsschule in Berlin und hat dort gemeinsam mit dem Kollegium wichtige Entwicklungsprozesse hin zu einer digitalen Schule angestoßen sowie die Weichen für einen fächerübergreifenden und projektorientierten Unterricht in einer Kultur der Digitalität gestellt. Wir sprachen mit ihm über den Digitalisierungsstand der deutschen Schulen, dem Digitalpakt und dem Forum Bildung Digitalisierung.
Lehrer-News: Welche Rolle spielt die Vernetzung von Schulen und Bildungseinrichtungen bei der Digitalisierung der Bildung?
Chammon: Die Vernetzung und der Austausch der unterschiedlichen Akteur:innen sind entscheidend, damit die digitale Transformation des Systems Schule gelingen kann. Als Forum Bildung Digitalisierung wollen wir mit unseren Formaten aufzeigen, dass niemand allein ist und wir viel voneinander lernen können. Dazu haben wir zum Beispiel mit dem LabBD einen Dialog- und Experimentierraum für Schulleitungen, Schulträger und Schulaufsichten geschaffen, in dem wir die gemeinsame Zusammenarbeit und den ko-konstruktiven Austausch zwischen den Akteur:innen anregen und sie im Prozess bei der Gestaltung digitaler Bildung begleiten und unterstützen. Lehrkräfte und Schulleitungen müssen nicht jedes Mal wieder von Null anfangen. Es geht darum, Erfahrungen, gute Beispiele, Materialien oder Konzepte miteinander zu teilen und ko-konstruktiv an Lösungen zu arbeiten. Diese Kultur des Teilens und das gemeinsame Lernen sind für Transformationsprozesse unerlässlich. Am Ende müssen dann die einzelnen Aktivitäten der unterschiedlichen Akteur:innen im Austausch miteinander abgestimmt und die bestmögliche Lösung für die Schule vor Ort gefunden werden. Unserer Erfahrung nach gelingen die digitalen Transformationsprozesse dort am besten, wo Schulen in gutem Austausch mit ihrem Träger und der Schulaufsicht stehen.
Lehrer-News: Welche technischen Lösungen gibt es, um Schulen bei der Digitalisierung zu unterstützen, wie sieht es z.B. beim Thema Breitband im ländlichen Raum aus?
Chammon: Entscheidender als die Frage nach der technischen Infrastruktur ist die wirksame und lernförderliche Nutzung digitaler Potenziale in Lehr-Lern-Settings. Wie kann ich neue Möglichkeiten der Visualisierung in den Fächern nutzen? Wie kann ich Apps oder individualisierte Lernplattformen für Schüler:innen im Unterricht einbinden? Wie verzahne ich analoge und digitale Lernsituationen sinnvoll miteinander? Lehrkräfte müssen gut auf diese Fragen vorbereitet und bei der Umsetzung unterstützt werden, der Schlüssel dafür ist eine hochwertige Aus- und Weiterbildung unserer Lehrkräfte. Und natürlich müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen: Dazu gehört eine einheitliche Versorgung mit Breitband auch im ländlichen Raum, die Ausrüstung mit Endgeräten inklusive einer regelmäßigen Wartung sowie eindeutige Datenschutzregeln, welche Lehrkräfte und Schulleitungen eine sichere Nutzung digitaler Anwendungen ermöglichen.
Lehrer-News: Wie kann Digitalisierung als Mittel für mehr Chancengerechtigkeit in der Bildung genutzt werden?
Chammon: Die Heterogenität der Lernenden stellt eine der größten Herausforderungen für das Bildungssystem dar. Im Sinne der Chancengerechtigkeit gilt es, die Potenziale der digitalen Technologien zu nutzen, um Lehr-Lern-Prozesse inhaltlich und methodisch individueller und kreativer zu gestalten und unterschiedliche Lernpfade für alle Schüler:innen zu ermöglichen. Neben diesen individualisierten Fördermöglichkeiten brauchen wir aber ein Umdenken im gesamten System, auch Leistungsbeurteilung oder Prüfungsformate müssen für mehr Chancengerechtigkeit an die individuellen Voraussetzungen von Schüler:innen angepasst werden. Bildungsteilhabe in einer digitalisierten Welt bedeutet zudem mehr als die Verfügbarkeit digitaler Infrastruktur für alle, sondern vor allem einen gleichwertigen Aufbau digitaler Kompetenzen unabhängig vom sozialen Hintergrund.
Lehrer-News: Welche konkreten Veränderungen können dank eurer Arbeit im Forum Bildung Digitalisierung für Schulen leichter erkenntlich gemacht werden, bzw. wie können Lehrer:innen und Schulen von eurer Arbeit profitieren?
Chammon: Als Forum Bildung Digitalisierung haben wir es uns zum Ziel gesetzt, ein vielfältiges Angebot zur Verfügung zu stellen. Wir wollen Lehrkräften und Schulen eine Plattform bieten, um miteinander in den Austausch zu gehen, sich mit anderen Akteur:innen im System Schule zu vernetzen und Good Practices sichtbar zu machen. Dazu setzen wir auf niedrigschwellige Angebote zum regelmäßigen Austausch wie unsere Community Calls oder veranstalten Fachtagungen und die Konferenz Bildung Digitalisierung, unsere große Jahreskonferenz, die sich mittlerweile zur Leitkonferenz für gute Schule in der digitalen Welt im deutschsprachigen Raum entwickelt hat. In Kooperation mit unseren Mitgliedsstiftungen haben wir zum Beispiel ein Konzept zur digitalisierungsbezogenen Schulleitungsqualifizierung entwickelt. In diesem Zusammenhang pilotieren wir in diesem Jahr eine mehrteilige Train-the Trainer-Qualifizierung, um den Transfer in staatliche Angebotsstrukturen zu unterstützen. Wir verstehen uns aber auch als Experte und Kurator für zukunftsweisende Konzepte und Strategien und informieren über unser Online-Magazin Plan BD über diverse Themen im Zusammenhang mit Schule in der Kultur der Digitalität.
Lehrer-News: Was muss beim Kompetenzerwerb von Lehrer:innen im Umgang mit digitalen Technologien getan werden?
Chammon: Wir leben in einer digital geprägten Gesellschaft. Schule muss Kinder und Jugendliche deshalb dazu befähigen, aktiv und selbstwirksam an dieser Gesellschaft teilzuhaben. Um das zu ermöglichen, brauchen Lehrkräften digitale Kompetenzen und vor allem auch die Kompetenz, die schnelllebigen Veränderungen akzeptieren und annehmen zu können. Dazu ist auf der einen Seite eine Weiterentwicklung der Fachdidaktik notwendig, welche die neuen Möglichkeiten in der Kultur der Digitalität des jeweiligen Faches berücksichtigt. Auf der anderen Seite sind aber auch neue Qualifizierungskonzepte erforderlich, damit Lehrkräfte bestmöglich auf den Job vorbereitet werden. Dabei sollten wir offen sein für neue Konzepte und Denkanstöße, sei es Design Thinking, Ko-Teaching oder Deeper Learning.
Lehrer-News: Wie können Schulen sicherstellen, dass digitale Technologien nicht dazu führen, dass Schüler:innen sich zu sehr von ihren eigenen Lernprozessen abhängig machen, Stichwort Digitalpakt: Was ist der aktuelle Stand und was muss noch getan werden?
Chammon: Bei allen bildungspolitischen Debatten sollten wir nicht vergessen, um wen es bei der Diskussion eigentlich geht: die Kinder und Jugendlichen. Anstatt abzuwarten und sich über Zuständigkeiten zu streiten, sollten wir endlich damit beginnen, Lösungen zu suchen! Das erfordert ein Kooperationsgebot und eine ernsthafte Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen sowie strukturelle Reformen. Vor allem sollten wir damit aufhören, immer nur über Kinder und Jugendliche zu sprechen, sondern die Perspektiven der Schüler:innen noch viel stärker in die Diskussion einzubeziehen.
Lehrer News: Vielen Dank für das Interview!
Was denkt ihr über den Stand der Digitalisierung und die Aussagen von Jacob Chammon? Schreibt uns eure Meinung oder eurer Feedback in die Kommentare!