Lehrer Joscha Falck meint, Schulen sollten vor den technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen nicht die Augen verschließen. (Quelle: Joscha Falck)
Mit ChatGPT und anderen KI-basierten Programmen drängen immer stärker sehr weit entwickelte Tools in die Klassenzimmer. Gerade für textbasierte Aufgaben, wie etwa Aufsätze oder Analysen von Artikeln oder Gedichten, ist es für Lehrkräfte extrem herausfordernd zu erkennen, ob die Aufgaben mit oder ohne den Einsatz von solchen Programmen bearbeitet wurden. Einige Lehrkräfte wehren sich gegen diese technologische Entwicklung, andere versuchen, den neuen Herausforderungen angemessen zu begegnen. Für alle ist und bleibt es eine Herausforderung. Lehrer News hat mit Joscha Falck über den Einsatz von KI im Unterricht gesprochen. Er ist Mittelschullehrer und als Schulentwicklungsmoderator Teil eines sogenannten Innovationsteams für digitale Bildung in Mittelfranken. In diesem Rahmen beschäftigt er sich mit aktuellen Entwicklungen rund um ChatGPT und Co.
Lehrer News: Mit ChatGPT und weiteren KI-Anwendungen sehen sich Lehrkräfte mit einer geradezu revolutionären technischen Entwicklung konfrontiert. Einige verweigern sich dieser Entwicklung noch und versuchen sie aus den Klassenzimmern herauszuhalten. Halten Sie das für sinnvoll?
Falck: Mit dem Ausdruck „verweigern“ wäre ich in diesem Zusammenhang vorsichtig. Die Gründe, warum Lehrkräfte das Thema Künstliche Intelligenz (noch) nicht aktiv angehen, sind ja sehr unterschiedlich. Oftmals sind es eigene Unsicherheiten und/oder datenschutzrechtliche Bedenken. Zudem fehlen in den meisten Bundesländern dienstlich bereitgestellte Tools, mit denen Lehrkräfte arbeiten können. Trotzdem halte ich es nicht für sinnvoll, Künstliche Intelligenz aus den Klassenzimmern herauszuhalten, ganz im Gegenteil. Die Schule sollte vor den technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen nicht die Augen verschließen und sich dem Thema annehmen.
Lehrer News: Schüler:innen nutzen zunehmend diese Tools, um etwa Hausaufgaben oder Aufsätze zu schreiben – auch Klassenarbeiten zu bestehen. Wie sollte das System Schule in Deutschland darauf reagieren?
Falck: Die Verfügbarkeit von generativer KI stellt die Art und Weise, wie Schule in Deutschland funktioniert, in Frage. Das gilt für Hausaufgaben, den Umgang mit Wissen und auch für Prüfungen. Bestimmte Aufgabentypen, die in Sekundenschnelle von ChatGPT gelöst werden können, brauche ich so nicht mehr zu stellen. Stattdessen wäre es sinnvoll, über neue Aufgabenstellungen nachzudenken, die einerseits kompetenzorientiert angelegt sind und auch auf Kommunikation, Kollaboration und Kreativität abzielen. Andererseits braucht es Aufgaben, die die Nutzung von KI integrieren, z. B. als Feedback-Instrument bei der Textüberarbeitung oder als Planungsassistent bei Projektaufgaben. Innerhalb des Systems müssen jetzt Beispiele für solche Aufgaben entwickelt werden, z. B. im Rahmen von Fortbildungen und/oder einem Schulentwicklungsschwerpunkt Künstliche Intelligenz.
Lehrer News: Welche Dimensionen müssen wir betrachten, wenn wir über KI in der Schule sprechen?
Falck: In Bezug auf das Thema KI besteht der Bildungsauftrag der Schule darin, Schülerinnen und Schüler fit zu machen für ein Leben in einer KI-geprägten Welt. Dazu benötigen sie einerseits Wissen über die Technik hinter ChatGPT und Co., andererseits sollten sie einen mündigen, verantwortungsvollen, reflektierten und kritischen Umgang mit derartigen Tools in der Schule erlernen. Es geht also darum, KI zum Lerngegenstand zu machen (Lernen über KI) und Künstliche Intelligenz als Werkzeug einzusetzen (Lernen mit KI). Darüber hinaus kann Künstliche Intelligenz in Form intelligenter Tutorsysteme (ITS) zum Einsatz kommen, bspw. in adaptiven Lernsystemen wie der Mathematik-Software Bettermarks. Diesen Bereich kann man als Lernen durch KI bezeichnen. Und dann bin ich überzeugt, dass die Bearbeitung von Künstlicher Intelligenz auch erfordert, grundsätzlich über sich, das eigene Lernen und Bildung in der heutigen Zeit nachzudenken, z. B. ausgehend von der Frage, warum man eigentlich noch lernen muss, was die KI besser kann als ich selbst (Lernen trotz KI). Zuletzt habe ich in einem Beitrag darauf verwiesen, dass es angesichts von immer mehr Technik und digitalen Tools aus meiner Sicht wichtig ist, Räume ohne KI zu erhalten. Damit sind zum Beispiel Projektformen gemeint, erlebnispädagogische Elemente, Theater, Musik, Sport, Formate wie der FreiDay oder praktisches Arbeiten – authentische Lernsituationen also, in denen Schülerinnen und Schüler aktiv werden und Selbstwirksamkeit in realen Beziehungen erfahren.
Lehrer News: Schüler:innen adaptieren die neuen technischen Möglichkeiten zum Teil viel schneller als Lehrkräfte. Wie können sich Lehrer:innen schnell weiterbilden, um bei dem Thema sattelfest zu sein?
Falck: Die KI-Forscherin Doris Weßels betont in diesem Zusammenhang die 4 A´s: Das erste A ist Aufklärungsarbeit in der Fläche der Schullandschaft, z. B. durch Fortbildungen. Lehrkräfte müssen umreißen, was generative KI ist und kann, wo die Grenzen liegen und welche Chancen und Risiken es gibt. Das zweite A ist das Ausprobieren der Tools, zunächst einmal für sich selbst, z. B. im Rahmen der Unterrichtsvorbereitung. Dabei geht es um die (neue) Erfahrung der Mensch-Maschine-Interaktion, um die Faszination, aber auch um die Irritation, die das auslöst. Das dritte A ist Akzeptieren, dass ChatGPT und Künstliche Intelligenz keine Modeerscheinungen sind. Und das vierte A meint Aktiv werden, z. B. indem man sich austauscht, gemeinsam im Kollegium Ideen entwickelt und das Thema Künstliche Intelligenz an das schuleigene Medienkonzept ankoppelt.
Lehrer News: KI-Systeme können von Lehrkräften auf produktive Weise genutzt werden. Welche Tipps geben Sie Lehrkräften dafür mit?
Falck: KI-Tools können Lehrkräfte insbesondere in der Unterrichtsvorbereitung entlasten. Dazu kann ich ChatGPT u. a. für das Erstellen von Infotexten, für Arbeitsaufträge, für Differenzierungsmaterialien, für Übungen (Quiz, Lückentexte etc.), aber auch für Schulaufgaben, Erwartungshorizonte und sogar für Korrekturen nutzen. Bild-KI-Tools können darüber hinaus bei der Veranschaulichung von Unterrichtsinhalten nützlich sein. Zudem kann es entlastend sein, Schülerinnen und Schülern bestimmte Tools im Unterricht zur Verfügung zu stellen, um Aufgaben mit Hilfe von KI-Feedback zu überarbeiten. Das geht zum Beispiel mit dem kostenlosen Feedback-Tool PEER von der Technischen Universität München.
Lehrer News: Was muss sich auf struktureller Ebene in der Bildungspolitik tun, damit dieser Schritt der Digitalisierung nicht komplett verschlafen wird?
Falck: Derzeit scheint es so, als hätten wir 16 Kultusministerien, die sich dem Thema unabhängig voneinander annehmen. Zumindest lassen die zahlreichen verschiedenen Handlungsempfehlungen der Länder zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz darauf schließen. Da liegt der Gedanke nahe, dass Abstimmungen und Kooperationen hilfreich sein könnten. Sachsen-Anhalt stellt für Lehrkräfte mit emuKI beispielsweise eine eigene KI-Schnittstelle zur Verfügung, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz haben eine landesweite Lizenz für die fobizz-Tools gekauft, mit denen Lehrkräfte KI für sich nutzen, diese aber mit den fobizz-Klassenräumen auch ihren Schülerinnen und Schülern zur Verfügung stellen können. Diese Initiativen sind einerseits wünschenswert und vielleicht sogar wegweisend. Andererseits fördern sie auch eine ungleiche Verteilung von Bildungschancen. Ich würde mir hier wünschen, dass Lehrkräften aller Bundesländer KI-Werkzeuge von ihren Arbeitgebern zur Verfügung gestellt werden. Zum einen als Werkzeug für die eigene Tätigkeit, zum anderen, um KI-Tools datenschutzkonform im Unterricht einsetzen zu können.
Lehrer News: Wie glauben Sie, werden KI-Systeme die Schule, wie wir sie kennen, in den nächsten zwei, drei Jahren verändern?
Falck: KI-Systeme werden dazu beitragen, dass sich viele Entwicklungen im digitalen Bereich noch einmal beschleunigen und an Komplexität gewinnen. Ich befürchte, dass sich dadurch auch die Unterschiede zwischen Schulen, die schon viel im Bereich digitaler Lehr-/Lernkultur gearbeitet haben und anderen, bei denen diese Entwicklung nachschleppt, noch einmal vergrößern. Abgesehen davon wünsche ich mir, dass die Möglichkeiten von KI als Impuls für eine Weiterentwicklung der Unterrichtskultur genutzt werden (Prüfungen, Aufgabenkultur, Individualisierungsmöglichkeiten durch adaptive Lernsysteme, Feedback durch KI etc.) und nicht einfach nur dazu beitragen, dass alles ein bisschen effektiver wird, aber im Kern so bleibt wie es ist.
Lehrer News: In welchen Bereichen nutzen Sie selbst solche Systeme und welche nutzen Sie genau?
Falck: Ich nutze ChatGPT und Microsoft Copilot für die Unterrichtsvorbereitung. Darüber hinaus arbeite ich mit meinen Schülerinnen und Schülern immer wieder mit den KI-Tools von fobizz und experimentiere mit den Feedback-Möglichkeiten von PEER und Fiete. Im Informatik-Unterricht haben wir Künstliche Intelligenz zudem umfangreich behandelt, z. B. in Bezug auf maschinelles Lernen und auf Fake News. Und in Mathematik nutzen wir an unserer Schule Bettermarks.
Lehrer News: Vielen Dank für die Antworten auf Fragen, die sich viele Lehrkräfte gerade stellen dürften!
Wie steht ihr zu diesem Thema? Sollte es etwa KI-freie Unterrichtsphasen oder KI-freie Aufgaben geben? Schreibt es uns gerne in die Kommentare!