Kleidungsnormen aus den 1950er Jahren für ein besseres Arbeitsklima? Unser Autor sieht darin keinen zukunftsweisenden Weg
In regelmäßigen Abständen kocht in Deutschland immer wieder die Debatte um eine Kleiderordnung, gar einer einheitlichen Uniform an Schulen heiß auf. Der Auslöser dafür sind die immergleichen Aufreger: Schüler:innen, die in den heißen Sommermonaten in unklimatisierten Klassenräumen sitzen und durch ihre oftmals luftig, lockere und vor allem leichte Bekleidung ablenken und damit die sonst einwandfreie Arbeitsatmosphäre mit ihren sockenfreien Füßen treten. Sechs Monate später sind es Schüler:innen, die in unbeheizten Klassenräumen ihre Winterjacken anbehalten und damit eine “Aufbruchsstimmung“ und ein Gefühl “des nie angekommen sein“ suggerieren. Ständiges Diskussionspotential bietet auch nach wie vor die Jogginghose. Das führt sogar so weit, dass eine Schule in Wermelskirchen (Nordrhein-Westfalen) nun ihre Schüler:innen nach Hause zitiert, wenn sie in der „zum chillen verleitenden“ Jogginghose zum Unterricht erscheinen.
Da scheint eine Schuluniform doch das perfekte Mittel zu sein, um diese gravierenden Missstände zu beheben.
Denn auch Mobbing – ein Problem, das wirklich jede Schule kennt – würde die Einführung einer Schuluniform sicherlich zugutekommen. Dass Schüler:innen aufgrund ihrer Klamotten, geschweige denn sichtbarer sozialer Ungleichheiten drangsaliert werden, ist unleugbar.
Aber: In keinem dieser Beispiele sind Kleidungsstücke das wirkliche Problem.
Wenn der für am besten gehaltene Weg, Kinder vor Mobbing aufgrund ihrer Kleidung oder sozialen Herkunft zu schützen, der ist, die Kleidung zu ändern, dann wird nicht nur ein komplett falsches Bild an die Opfer, sondern auch an die Täter:innen gesendet. Gehänselten Kindern wird der Eindruck vermittelt, sie hätten Schuld an ihrer „schlechten Kleidung“ und auf der anderen Seite wird das eigentliche Problem verdrängt und ignoriert. Vielmehr bedarf es in diesem Fall einer vernünftigen Aufklärung, einer konstruktiven Kommunikation mit Einbindung beider Parteien. Wie sollen Probleme gelöst werden, wenn man sie nicht anspricht? Nachhaltige Besserung wird nicht mit Veränderung der Oberfläche, also der Kleidung, sondern mit Veränderung der Wurzel, also der Einstellung der mobbenden Kinder erreicht. Außerdem, wie oft sind Kleidungsstücke der wirkliche Ursprung von Mobbing. Mobbing hat andere Gründe, tiefergreifende. Und es wird nicht enden, nur weil Mobber:in und Gemobbte:r plötzlich die gleichen Textilien tragen, denn wer quälen will, der quält.
Und mal ganz ehrlich, ergibt es Sinn, soziale Ungleichheiten zu verdecken? Die Schule spiegelt nun mal unsere Gesellschaft wider – mit all ihren Ungerechtigkeiten. Diese Problematiken mit einer Schuluniform zu verschleiern, sendet das falsche Signal, erst recht über den schulischen Kosmos hinaus.
Die Behauptung, dass eine Schuluniform Zusammenhalt, Gruppengefüge und Identifikation zur Schule stärkt, ist auch nur bedingt sinnhaft. Gerade in einem Lebensabschnitt, indem noch immer stark die Geburtenlotterie über die gegebenen Lebensumstände, wie eben die Schule, entscheidet, ist eine gezwungene Identifikation eher hinderlich, um gerade bei pubertären aufbegehrenden Schüler:innen, eine wahrhafte, intrinsische Identifikation mit der Schule zu schaffen. Dazu gibt es auch gegenwärtig Schüler:innen, für die es wichtig ist, dass sie sich an einem Ort, an dem sie sich womöglich nicht immer wohlfühlen, durch einen individuellen Kleidungsstil von den Menschen, in denen sie sich nicht wiedererkennen, unterscheiden können. Die selbstständige Wahl der Kleidung ist Teil der Meinungsfreiheit und in dem Alter, Teil der Selbstfindung. Sie hilft Schüler:innen, Lebensphasen auszudrücken und schließlich das eigene Selbstbild zu festigen.
Schüler:innen sollten also zu keiner Schuluniform gedrängt werden. Und auch in kein willkürliches Kleiderordnungssystem.
Denn es ist nur ein kleiner Blick auf die Gesetzeslage nötig und es wird deutlich: Schüler:innen normale Kleidungsstücke zu verbieten, ist nicht rechtens. Es ist der Ausgleich zwischen dem staatlichen Erziehungsauftrag und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Schüler:innen, der den Schulen deutschlandweit nur den Ausspruch einer Handlungsempfehlung bezüglich einer Bekleidungsregel ermöglicht.
Deswegen ist es auch illegal, dass die Schule in Wermelskirchen ihre Schüler:innen nach Hause schickt, wenn sie Jogginghosen tragen. Und ob legal oder nicht. Sollten Schüler:innen nicht zur Schule gehen, um dort zu lernen, mit Gleichaltrigen zusammen zu sein und dann bestenfalls den Unterricht mit eigenen Beiträgen zu bereichern? Die Jogginghose hindert daran auf keinen Fall. Im Gegenteil, “Die Jogginghose spielt einen Gemütlichkeitsfaktor. Je gemütlicher es ist, desto wohler fühle ich mich und desto besser kann ich mich konzentrieren”, sagt ein Schüler des Willi-Graf-Gymnasiums in München. In die gleiche Kerbe schlägt Ronja Hartmann, die stellvertretende Landesschülersprecherin Bayerns: “Schule nimmt einen unglaublich großen Zeitraum ein, man sitzt den ganzen Tag, deswegen möchte man nicht unbedingt in engen Klamotten da sein.“ Wenn es also – mal ganz von der Gesetzeslage abgesehen – auch nur ein bisschen darum geht, was sich die Schüler wünschen – um die es ja am Ende des Tages geht – ist eine Kleiderordnung, die die Jogginghose verbietet, in niemandes Interesse.
Auch für Lehrkräfte würde das eine zusätzliche Belastung bedeuten. In einem sonst schon überstrapazieren Schulalltag noch dutzende Schüler:innen auf einen regelkonformen Dresscode zu überprüfen und die Energie aufzuwenden, diese bei Bruch der Ordnung zu maßregeln, ist doch einfach verschwendete Kraft.
Aber darüber hinaus: Was ist das für eine Art und Weise, Kinder und Jugendliche der Schulpflicht, dem demokratischen Grundpfeiler unseres Bildungssystems, zu entheben, weil sie nicht dem gesellschaftlich anerkannten Kleidungsideal entsprechen?
Wenn es darum geht, wie viel Haut Schüler:innen in der Schule zeigen sollten, wird stets gefragt, wie kurz die Röcke, Hotpants und Oberteile, wie tief die Ausschnitte und wie frei die Rücken sein dürfen. Willkürliche Regularien sollen für Kleidungsstücke gelten, die in den meisten Fällen von Frauen getragen werden. In dieser Debatte lenken Schülerinnen mit ihrem Aussehen ab. Es fällt jetzt schwer, sich zu konzentrieren. Das Problem ist dann aber nicht die freie Haut, sondern die Sexualisierung der Frau und dafür ist eine Kleiderordnung wirklich der falsche Lösungsweg.
“Mädchen sollten sich fragen, welche Rolle sie als Frau spielen möchten.“ Der Meinung ist der Schulleiter eines Gymnasiums in Dachau. Die sommerliche Kleidung einer Schülerin gibt aber keine Auskunft über irgendeine Rolle und legitimiert erst recht keine Sexualisierung. Ein Verbot von Haut erzeugt das ganz falsche Bild. Dass Frauen mit der Wahl ihrer Kleidung selbst dafür verantwortlich sind, wie sie teilweise – besonders von Männern – gesehen werden.
Statt Schüler:innen einfach Kleidungsstücke zu verbieten und nach Hause zu schicken, wäre es sinnvoller, im Unterricht über Schönheitsideale und gesellschaftliche Kleidungsnormen zu sprechen, damit Schüler:innen ein eigenes Empfinden dafür entwickeln können und stets in allen Belangen einen respektvollen Umgang untereinander wahren.
Meinungen gibt es zu diesem Thema sehr viele, schreibt sie uns deswegen unbedingt in die Kommentare und lasst uns an euren Gedanken zu diesem Artikel teilhaben.
Ein Kommentar von unserem Autor Theo Westphal.