Wiesbaden. In Hessen stehen sich Aussage um Aussage gegenüber. Je nach Lesart und Ansprechpartner erhält man unterschiedliche, vorwurfsvolle Aussagen zum Lehrermangel. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) wirft der hessischen Regierung Versagen bei der Bewältigung des sich zuspitzenden Lehrermangels vor. Im Kultusministerium hört man solche Aussagen ungern, findet die öffentliche Diskussion sei “reißerisch dargestellt” und versichere, dass es alles in allem genügend Lehrkräfte in Hessen gebe. Mehr Geld für Grundschullehrer und Grundschullehrerinnen und die Weiterbildung von Quereinsteigern werden als probate Mittel gesehen, die jetzt zur Linderung der Personalsorgen beitragen sollen. Worum geht es?
Der Lehrkräftemangel sei gerade im Rhein-Main-Gebiet "dramatisch", beklagt der Verband Bildung und Erziehung (VBE) und bezieht sich dabei auf rund 2.000 unbesetzte Stellen an den Schulen. Nach Schätzungen der VBE gibt es an jeder Schule im Schnitt eine unbesetzte Stelle, die finanziell eigentlich fest eingeplant ist. "Außerdem zeigt sich der Lehrkräftemangel an den 6.000 bis 7.000 befristeten Vertretungsverträgen – denn die meisten wurden nicht mit ausgebildeten Lehrkräften abgeschlossen, sondern mit Studierenden oder Menschen aus völlig anderen Berufen” sagt der VBE-Landesvorsitzende Stefan Wessmann. Auch die Opposition im Landtag ist wegen der seit Jahren wachsenden Zahl an Quereinsteigern an hessischen Schulen besorgt. Von den etwa 65.000 Lehrer:innen kommen über 10.000 aus dem Quereinstieg, so Moritz Promny, bildungspolitischer Sprecher der Liberalen im Landtag. Damit werde die schlechte Personalplanung der Landesregierung kaschiert, findet Promny.
Im Kultusministerium bestreitet man diese Zahlen nicht. Alexander Lorz, Hessischer Kultusminister (CDU) will den Anteil der Lehrkräfte reduzieren, die an den Schulen aktuell ohne passendes Studium unterrichten. Gleichzeitig betont er: “Der wird niemals auf Null kommen. Musikpädagogen, Sportwissenschaftler, Pfarrerinnen und Pfarrer – das sind alles Menschen, die schon immer im hessischen Schuldienst waren und die wir auch in Zukunft brauchen werden. Lorz beteuert, dass es genügend Lehrkräfte in Hessen gebe und verweist auf die mehr als 5.000 Stellen, die in seiner Amtszeit geschaffen worden sind, weitere 4.000 stünden im Doppelhaushalt 2023/24. Die Personalbesetzung an den Grundschulen liegt bei 120 Prozent, so Lorz. Punktuell könne es mal an einzelnen Schulen Schwierigkeiten geben, "wenn in der Region gerade ein Lehrer mit einer entsprechenden Fachlichkeit gesucht wird". VBE-Landeschef Wessmann, empfahl dem Minister gar: "Herr Lorz sollte sich besser nicht in die Lehrerzimmer und auf die Elternabende an Schulen trauen, die vom Lehrkräftemangel besonders betroffen sind”.
Aus Sicht der Schulen tritt dieser Fall öfter ein als nach den rosigen Schilderungen des Kultusministers. Kurzfristige Ausfälle sorgten immer wieder für erhebliche Probleme, sagt etwa Schulleiter Knut Hahn von der Albrecht-Dürer-Schule in Weiterstadt (Darmstadt-Dieburg). Es gebe kaum ausgebildete Kräfte, die vertretungsweise Unterricht abhalten könnten. Das sieht auch der Landeselternbeirat so. Der Mangel zeige sich nicht nur in bestimmten Fächern, sondern auch von Region zu Region unterschiedlich, sagte der Vorsitzende Volkmar Heitmann dem Hessischen Rundfunk am Donnerstag. Da es junge Lehrerinnen und Lehrer häufiger in die Großstädte ziehe, sei die Abdeckung hier deutlich besser als in den ländlichen Regionen. Zudem lassen sich große Unterschiede in den Schulformen feststellen. In Gymnasien fielen deutlich weniger Stunden aus als in Grundschulen. Am Ende jedoch sei der Unterrichtsausfall "über alle Schulformen und Klassenstufen beträchtlich", so Heitmann.
Gemeinsam mit dem hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein hat man sich im Kultusministerium darauf geeinigt, dass Hessens Grundschullehrer:innen mehr Geld bekommen sollen. 600 Euro mehr als bislang sollen es sein. Das ist der Unterschied zwischen der bisherigen Besoldungsgruppe A12 und der künftigen A13. Die Angleichung soll jedoch in sechs Stufen erfolgen und erst 2028 vollständig erreicht sein, erläuterte Kultusminister Lorz. In Nordrhein-Westfalen zahlt man seinen Grundschullehrkräften bereits mehr, weitere Bundesländer setzen eine Erhöhung der Bezüge gerade um oder haben diese zumindest angekündigt. Hessen stand damit unter Handlungsdruck, wollte man im Wettbewerb um die knappen Lehrkräfte nicht ins Hintertreffen geraten. Auch der Verband Bildung und Erziehung (VBE) sieht eine zentrale Forderung erfüllt. Es sei allerhöchste Zeit gewesen, „dass hier für Gerechtigkeit gesorgt wird“, sagte der Landesvorsitzende Stefan Wesselmann. Außerdem soll die Weiterbildung von Quereinsteiger:innen eine weitere tragende Säule in der Bekämpfung des Lehrermangels werden. Diese soll zum Beispiel durch die Schulung von Grafikdesigner:innen zu Kunstlehrer:innen und die Vorbereitung von Physiker:innen auf das Lehren in den Fächern Mathe und Physik erfüllt werden. Hinzu kämen Quereinsteiger:innen, die bereits die geforderten pädagogischen Kenntnisse besitzen.
Die höhere Bezahlung von Lehrkräften und die bessere Ausbildung von Quereinsteiger:innen allein löse das Problem des Lehrkräftemangels jedoch nicht. Es gebe weitere Punkte, wie etwa ausreichende Studienplätze ohne Zugangsvoraussetzung, angepasste Studieninhalte und ein Überdenken der Pflichtstundenzahl, die künftig weiter angegangen werden müssen.
Seid ihr Lehrkraft in Hessen? Wie nehmt ihr den Lehrermangel und die Diskussion zwischen VBW und Kultusministerium wahr? Schreibt es uns in die Kommentare!