Religion und Schule–wie passt das zusammen? Die Debatte darüber, wie viel Einfluss Religion auf die Bildung der Schüler:innen haben darf, ist nicht neu. Schon seit langem diskutiert man beispielsweise über das verpflichtende Kreuz in bayerischen Klassenzimmern, das eigentlich nicht mit unserem Grundgesetz vereinbar ist. Das sorgt für viel Unverständnis, denn längst nicht alle Schüler:innen sind christlich. Und trotzdem wird dem Christentum an den Bildungseinrichtungen und auch beim Angebot des Religionsunterrichts meist viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt als anderen Glaubensrichtungen. Wie steht es also um die religiöse Diversität und Gleichberechtigung an deutschen Schulen? Fühlen sich alle Schüler:innen repräsentiert und inwieweit ist Religion überhaupt in die Schule integriert?
Religionsunterricht ist seit Jahrhunderten ein fester Bestandteil der deutschen Lehrpläne. Er ist als einziges Schulfach sogar im deutschen Grundgesetz verankert: Artikel 7 des GG regelt, dass alle Schüler:innen an öffentlichen Schulen, die nicht bekenntnisfrei sind, Religionsunterricht erhalten sollen. "Der Religionsunterricht ist (...) ordentliches Lehrfach." Außerdem gilt die Freiheit des Religionsbekenntnisses aus Artikel 4 GG. Nach diesem darf kein:e Schüler:in zur Teilhabe an religiösen Praktiken gezwungen oder davon abgehalten werden. Diese müssen also auch im Religionsunterricht auf freiwilliger Basis durchgeführt werden.
"Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt.", heißt es außerdem in Artikel 7 GG. Der Staat hat also darauf zu achten, dass nichts unterrichtet wird, das gegen das Gesetz verstößt, darüber hinaus mischt er sich jedoch nicht in die Unterrichtsinhalte ein. Auch stellt er zwar die Religionslehrer:innen ein, diese brauchen jedoch zusätzlich eine Erlaubnis der Kirchen, um unterrichten zu dürfen. Verstoßen sie gegen die kirchlichen Regeln, können die Lehrer:innen diese Erlaubnis auch wieder verlieren. Das macht den Religionsunterricht zu einer gemischten Angelegenheit von Staat und Kirche. Dieses Konzept stammt noch aus der Weimarer Reichsverfassung von 1919. Dort wurde es als Kompromiss zwischen den Sozialisten, die keine Religion in der Schule wollten, und der katholischen Zentrumspartei festgelegt und wird bis heute so praktiziert.
Die Einbettung in die Lehrpläne ist trotz dessen in jedem Bundesland unterschiedlich geregelt. Eine wichtige Ausnahme vom Grundsatz von Religion als ordentlichem Lehrfach stellt Artikel 141 des Grundgesetzes dar: „Artikel 7 Absatz 3 Satz 1 findet keine Anwendung in einem Lande, in dem am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand.“ Diese Regelung wurde mit Rücksicht auf die Rechtslage in Bremen in das Grundgesetz eingefügt und wird daher auch “Bremer Klausel" genannt. Laut der bremischen Verfassung muss „Unterricht in biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage“ erteilt werden. Neben Bremen betrifft die Ausnahmeregelung auch Berlin.
Ob sie am Religionsunterricht teilnehmen möchten, dürfen Schüler:innen in der Regel ab ihrem 14. Lebensjahr selbst entscheiden, davor liegt diese Wahl in den Händen der Eltern. Und diese Wahl wird immer häufiger genutzt, denn der Religionsunterricht ist längst nicht mehr so beliebt wie früher. Seit Jahren sinkt die Zahl der Schüler:innen im Religionsunterricht und die Zahl derjenigen, die einen religionsneutralen Ethik-Unterricht besuchen, steigt. Damit folgen auch die Schüler:innen dem allgemeinen Trend weg von der Kirche. Dieser ist in Deutschland besonders in den letzten Jahren sehr zu spüren gewesen, denn die Zahl der Kirchenaustritte steigt massiv.
Auch das allgemeine Verständnis von Kirche und dem Christentum scheint langsam zu schwinden.
Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Universität Leipzig. 2022 hat diese im Rahmen des interdisziplinären Projektes „Multiple Bibelverwendung in der spätmodernen Gesellschaft“ insgesamt 1.209 Menschen mit und ohne kirchliche Bindung zur Verbreitung, dem Gebrauch und dem Verständnis der Bibel befragt. Die Ergebnisse zeigen: Es steht schlecht um die Beliebtheit der Bibel in Deutschland.
„Nur ein geringer Teil der deutschen Bevölkerung liest regelmäßig in der Bibel, deutlich mehr Menschen finden aber ihre Inhalte interessant“, meldete die Theologische Fakultät der Universität Leipzig. Laut der Studie nutzen nur etwa 30 Prozent die Bibel einmal jährlich. Als Grund gaben 80 Prozent der Nichtleser:innen fehlende persönliche Relevanz der Bibel für ihr Leben an. Und das, obwohl sich die Grundsätze der Bibel trotzdem weiter großer Beliebtheit erfreuen. 90 Prozent der Bibellesenden und auch 63 Prozent derjenigen, die sie nicht lesen, sind laut der Studie der Ansicht, dass das Buch durchaus zentrale Normen und Werte für die Gesellschaft überliefert.
Dass sie trotzdem so wenig gelesen wird, kann an den wenigen Berührungspunkten liegen, die die meisten Menschen mit der Bibel haben. Dem entgegenwirken könnte vor allem der Religionsunterricht, denn die ersten Assoziationen knüpfen Kinder laut dem Religionssoziologen und Leiter der Studie Gert Pickel im Alter von vier bis 14 Jahren. Sozialisationsort ist dabei eben auch der Religionsunterricht an Schulen.
Doch die christliche Kirche ist nicht die einzige Glaubensgemeinschaft, die in Schulen vertreten wird. Je nach Bundesland gibt es unterschiedliche Regelungen, ab welchem Anteil an gläubigen Schüler:innen der jeweilige Religionsunterricht von der Schule angeboten werden muss. In Nordrhein-Westfalen liegt diese Grenze beispielsweise bei 12 Kindern eines Glaubens.
Diese Regelungen sorgen zwar dafür, dass die Kinder und Jugendlichen ihre Religion näher kennenlernen können, sie lösen jedoch das Problem der Diskriminierung nicht. Gerade die Schule ist ein Ort, an dem Mobbing und Ausgrenzung immer wieder zum Problem werden kann, auch aufgrund der Religion. Hier braucht es mehr Toleranz und Sensibilität bei Schüler:innen und Lehrkräften und vor allem mehr Aufklärung über die unterschiedlichen Religionen. Vor allem Kinder und Jugendliche, die dem Islam angehören, erfahren in der Schule viel Ungerechtigkeit und Diskriminierung.
Eine neue Studie fasst die Muslimfeindlichkeit in Deutschland nun zusammen.
Der Expertenbericht „Muslimfeindlichkeit–Eine deutsche Bilanz“ wurde im Juni 2023 der Bundesregierung vorgestellt. Durchgeführt wurde er von einem 2020 einberufenen 12 köpfigen „Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit“ (UEM).
Muslime seien "eine der am meisten unter Druck stehenden Minderheiten im Land" heißt es in dem Bericht. Der Expertenkreis definiert Muslimfeindlichkeit als "die Zuschreibung pauschaler, weitestgehend unveränderbarer, rückständiger und bedrohlicher Eigenschaften gegenüber Muslim:innen und als muslimisch wahrgenommener Menschen.“ Dadurch wird automatisch ein Gefühl der „Fremdheit“ konstruiert. Für Betroffene seien das keine Einzelereignisse, sondern wiederkehrende und mitunter sehr belastende Erfahrungen. Sie erfahren Ausgrenzung und Diskriminierung bis hin zu Gewalt. Das Phänomen sei weit verbreitet, schreibt der UEM. So stimme laut Untersuchungen etwa jede:r zweite Deutsche islamfeindlichen Aussagen zu.
„Nehmen wir als Beispiel den Bereich Bildung. Muslimische Schülerinnen und Schüler sind häufig mit negativen Fremdzuschreibungen konfrontiert. Muslimische Jungs werden etwa oft als gewaltbereit und aggressiv angesehen. Ein sexistischer Kommentar von ihnen wird durch Lehrkräfte schnell kulturalisiert, also durch ihre Kultur erklärt. Bei nicht-muslimischen Jungs wird das in der Regel als individuelle Äußerung interpretiert, die nicht auf Herkunft oder Religion zurückzuführen sei. "Muslimischen Mädchen wird dagegen oft zugeschrieben, unterdrückt, naiv und machtlos zu sein.“ sagte Saba-Nur Cheema, Forscherin und Teil des Expertenteams in einem Interview mit der TAZ.
Die Forderung des Berichtes: Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter staatlicher Einrichtungen wie Lehrer:innen, Erzieher:innen oder Polizist:innen solle es eine stärkere Sensibilisierung durch Fortbildungen geben. In den Schulen müsse die Auseinandersetzung mit Muslimfeindlichkeit verpflichtend werden. Konkret heißt das, Lehrpläne und Schulbücher müssen überarbeitet werden. Bundesinnenministerin Nancy Faeser versprach eine intensive Beschäftigung mit diesen Vorschlägen.
Angesichts der abnehmenden Zahl an teilnehmenden Schüler:innen in der Gefahr, Ausgrenzung weiter anzuheizen, kann man deshalb die Frage stellen: Ist Religionsunterricht überhaupt noch zeitgemäß? Oder wäre es nicht die bessere Option, stattdessen einen allgemeinen Ethik- oder Philosophieunterricht einzuführen, welcher die wichtigen Fragen des Lebens und wichtige Normen und Werte vermitteln kann, und das unabhängig von der Religion der Schüler:innen?
Was ist eure Haltung zum Religionsunterricht an Schulen? Denkt ihr, man sollte die Tradition bewahren, oder ist das System vielleicht längst überholt? Schreibt es uns in die Kommentare!