Privatschulen: Rettung für das Bildungssystem oder Symptome seiner Probleme?

Foto einer grauen Maus

Manchmal braucht es nur ein wenig Zuwendung, damit auch die kleinste graue Maus aufblühen kann. (Quelle: Canva)

Dieser Artikel ist ein Kommentar unserer Redakteurin und stellt ihre persönliche Meinung dar. Er spiegelt nicht zwangsläufig die Ansichten der gesamten Redaktion wider. 

In einem Bildungssystem, das zunehmend unter seinen eigenen Defiziten leidet, erscheinen sie wie kleine Inseln des Luxus: Mehr Lehrkräfte für kleinere Klassen, weniger Druck, bessere Ausstattung. Man könnte fast meinen, sie seien die Antwort auf all die Probleme, die die öffentlichen Schulen schon lange plagen. Doch ist es wirklich das, was wir wollen? Ein Bildungssystem, das sagt: “Wenn der Staat es nicht schafft, machen wir es eben selbst?” Es stellt sich die Frage, ob Privatschulen eine Lösung oder ein Symptom sind. Liegt es an den prekären Zuständen unserer Schulen, dass wir überhaupt an Privatschulen festhalten – oder treiben diese Umstände uns dorthin?

Wer bin ich, mir (schon wieder) eine Meinung zu erlauben?

Bevor wir uns der Frage widmen, ob Privatschulen wirklich nötig sind oder nur als Ruheinseln in einem krankenden Bildungssystem dienen, möchte ich euch erzählen, wer hier schreibt. Es ist noch gar nicht lange her, da habe ich selbst noch die Schulbank gedrückt und das deutsche Bildungssystem in all seinen Facetten durchlaufen. In meinen 13 Schuljahren war ich an vier verschiedenen Schulen – von der kleinen Grundschule auf dem Dorf, wo jede Lehrkraft jede Familie kannte, bis hin zum städtischen Gymnasium mit vierzügigen Jahrgängen, in dem die Flure aus allen Nähten platzten. Und ja, ich war auch an einer Privatschule, die mit kleinen Klassen und speziellen Angeboten vieles anders – vermeintlich besser? – machen wollte. Ich kenne den Alltag an öffentlichen Schulen, wo Lehrkräfte oft um die nötige Aufmerksamkeit für jede:n Einzelne:n kämpfen müssen, und ich weiß auch, wie es ist, einzeln oder in einer kleinen Lerngruppe gefördert zu werden. 

Diese Erfahrungen haben mir eine besondere Perspektive auf das System Bildung gegeben, und vielleicht auch eine gewisse Skepsis gegenüber der Idee, dass Privatschulen die ultimative Lösung aller Probleme sind. Also, ja, ich erlaube mir hier eine Meinung – nicht nur, weil ich dieses System durchlebt habe, sondern weil ich es von verschiedenen Seiten kennengelernt habe. 

Was der Wechsel auf eine Privatschule für mich bedeutete

Nachdem ich mich in der 7. und 8. Klasse erst einmal fangen musste – das Gymnasium hat mich damals ziemlich gefordert, um nicht zu sagen, überfordert – fand ich meinen Weg in der 9. Klasse. Doch ich merkte auch, dass die Schule für mich in vielerlei Hinsicht nicht mehr so gut für mich funktionierte wie zuvor. Ich fühlte mich sozial isoliert, erlebte Mobbing und war letztlich nur ein Gesicht unter Hunderten. Ein Schulwechsel schien mir eine gute Chance, in der Oberstufe noch einmal neu anzufangen.

Zunächst habe ich mir alle öffentlichen Schulen in der Umgebung angeschaut. Nur, um wirklich alle Optionen zu prüfen, sah ich mir auch die privaten Schulen an. Ich wollte sicher sein, alle Möglichkeiten zu kennen. Eine davon entsprach tatsächlich meinem Bild der elitären Schule, die ich im Kopf hatte. Eine andere hingegen, bei der ich den Tag der offenen Tür besuchte, fühlte sich genau richtig an. Das war überraschend – für mich und auch meine Mutter. Noch am selben Tag stand die Entscheidung: Ich wollte dort unbedingt hin. 

Tatsächlich hielt man die gegebenen Versprechen: Maximal zwanzig Schüler:innen pro Klasse – in meiner waren es weniger als zehn. Und das war nicht nur irgendeine Klasse, sondern ein Team. Täglich gab es ein gemeinsames Frühstück und Mittagessen, anschließend eine lange Mittagspause – endlich genug Zeit für Essen und Bewegung. Alle unsere Lehrkräfte kannten uns beim Namen, und jede Klasse hatte eine Klassenleiterstunde. Ich bekam die individuelle Betreuung, die ich so lange gebraucht hätte. Aus dem kleinen, blassen Mädchen der Sekundarstufe I, das meine damalige Klassenlehrerin auf der Abschlussfeier als “graue Maus” bezeichnete, wurde wieder ein lebensfroher Mensch, der vor Motivation und Wissensdurst kaum wusste, wohin.

In den drei Jahren bis zum Abitur wurde ich fachlich als auch persönlich gefördert und gefordert. Während meine Noten in der 7. und 8. Klasse wirklich nicht berauschend waren und ich unangenehme Elterngespräche nur zu gut in Erinnerung habe, war die Entwicklung bis zum Ende meiner Schulzeit deutlich sichtbar. Meine Deutschlehrerin am Gymnasium  äußerte mehrfach Zweifel, ob ich in ihrem Fach jemals wirklich erfolgreich sein würde. Siehe da: Das schriftliche Abitur in Deutsch habe ich mit 15 Punkten abgeschlossen – und heute studiere ich Germanistik und arbeite als Journalistin. Eine Pflanze braucht Zuwendung, um kräftig und gesund zu wachsen. Und so wuchs ich über mich hinaus – und ich glaube, so geht es vielen Kindern und Jugendlichen an Privatschulen.

Danach war Start an der Universität für mich eine echte Herausforderung. Nach drei Jahren individueller Betreuung in einer kleinen Klasse an der Privatschule fühlte ich mich plötzlich wie ein unbedeutendes Rädchen im Getriebe. Die harte Realität des Massenbetriebs traf mich unerwartet – ich war nicht darauf vorbereitet, wieder nur eines von hunderten, diesmal tausenden Gesichtern zu sein.

Nicht alles ist Gold, was glänzt

Bevor das hier in einen Liebesbrief an jene Schule und meine Lehrkräfte in der Oberstufe ausartet, zurück zum Thema: Für einige Eltern und Schüler:innen, aber auch für Lehrkräfte, bieten viele Privatschulen tatsächlich bessere Chancen und Bedingungen. Natürlich sind Privatschulen nicht für jede:n die richtige Wahl, egal ob Schüler:in oder Lehrkraft. Ein Indiz dafür: Die meisten Lehrkräfte verdienen an Privatschulen sogar noch weniger als an öffentlichen – und dort ist das Gehalt ja bereits alles andere als angemessen. 

Und auch nicht jede Privatschule hält, was sie den Schüler:innen verspricht.  Manchmal wird das alternative Lernkonzept etwas zu alternativ, und es gibt Schulen, an denen politische Ideologien leichter Fuß fassen, besonders hinter verschlossenen Türen. Wir erinnern uns kurz zurück an den Sommer und den Aufschrei nach dem L’Amour toujours-Debakel am Elite-Internat Louisenlund. Aber selbstverständlich haben wir auch in öffentlichen Schulen Probleme mit politischem Extremismus (Lehrer News berichtete). Abgesehen von diesen Problemen verstärken Privatschulen häufig die bereits vorhandene Bildungsungerechtigkeit, weil ihr Zugang für viele Familien schlicht nicht erschwinglich ist.

Privatschulen und das liebe Geld

Toll, dass du dir den Besuch einer Privatschule leisten konntest – aber was ist mit den Kindern und Jugendlichen aus Familien, die das nicht können? Ich höre einige von euch jetzt sagen (oder tippen): “Privatschulen sind doch nur etwas für Kinder reicher Eltern.” Früher dachte ich das auch, bis ich selbst an eine Privatschule gewechselt bin. In meiner Vorstellung waren Privatschulen exklusive Eliteschulen mit horrenden Kosten und Luxusausstattung. Doch die Realität sieht manchmal anders aus: Einige Privatschulen bemühen sich durch nach Einkommen gestaffelte Schulgebühren, auch Schüler:innen aus nicht wohlhabenden Verhältnissen eine Chance zu geben. Meine Schule machte genau das möglich – obwohl ich aus finanziell schwachen Verhältnissen komme, konnte ich diese Privatschule besuchen. Trotz solcher Modelle bleibt der Zugang jedoch oft ein Privileg, das nicht jede Familie in Betracht ziehen kann. Die Frage der Finanzierung entscheidet letztlich darüber, wer Zugang zu diesen Schulen hat und wie es um Chancengleichheit in unserem Bildungssystem wirklich steht.

Schulgelder, ein Überblick: Privatschulen in Deutschland verlangen unterschiedlich hohe Schulgelder. Durchschnittlich liegt das jährliche Schulgeld bei rund 2.000 Euro, wobei die Kosten stark variieren. In städtischen Gebieten wie Düsseldorf oder dem Rhein-Kreis Neuss können die Gebühren bis zu 7.400 Euro im Jahr betragen. In ländlichen Regionen hingegen liegen sie oft weit darunter (ca. unter 400 Euro. Viele Schulen passen die Kosten an das Einkommen der Eltern an, um auch Kindern aus nicht wohlhabenden Familien den Zugang zu ermöglichen. Für knapp 60 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland kostete der Privatschulplatz 2016 weniger als 1.500 Euro an Schulgeld und für etwa ein knappes Viertel weniger als 500 Euro im Jahr.

Trotz gestaffelter Gebühren ist mir natürlich bewusst, dass selbst die geringeren Schulgelder für viele Familien keine realistische Option darstellen, weil das Geld oft an anderen Stellen dringender benötigt wird. Auch wenn manche Privatschulen versuchen, die Zugangshürden zu senken, bleibt der Besuch für viele unerreichbar. Letztlich wird Bildungsgerechtigkeit so nicht nur zur Frage des Angebots, sondern auch der individuellen finanziellen Möglichkeiten – und genau hier entsteht das eigentliche Problem.

Privatschulen: Symptom oder Heilung?

Das wirft natürlich die Frage auf: Ist die Zunahme von Privatschulen ein echtes Heilmittel für unser Bildungssystem oder doch eher ein Symptom seiner Krankheit? Der Anstieg privater Schulen und ihr wachsender Zulauf sind kein neues Phänomen, sondern ein Spiegelbild der Entwicklungen der letzten Jahrzehnte. Zu diesem Thema kann ich den Artikel Der Boom von Privatschulen, verständlich erklärt (Bezahlinhalt) von Bent Freiwald wärmstens empfehlen. Wenn Eltern sich gezwungen sehen, eine private Schule in Erwägung zu ziehen, weil sie das Gefühl haben, die öffentliche Schule könne die Bildung und Förderung ihrer Kinder nicht mehr leisten, wo bleibt dann die Verantwortung des Staates? Können wir uns darauf verlassen, dass private Bildungsträger das Vakuum füllen, das durch mangelnde Ressourcen und Unterstützung im staatlichen System entstanden ist?

Privatschulen bieten zweifellos Vorteile – kleinere Klassen, individuelle Förderung, alternative Lehransätze. Doch diese Vorteile sind nicht allen zugänglich, und das ist der eigentliche Knackpunkt. Wer das nötige Kleingeld hat, kann seinen Kindern eine Bildung bieten, die auf ihre individuellen Bedürfnisse eingeht, die möglicherweise genauso gut oder sogar besser ist als die an einer öffentlichen Schule. Doch sollte das nicht jedem Kind offenstehen? Bildung ist schließlich ein Menschenrecht. Jedes Kind hat das Recht auf eine Schulausbildung, und jeder Mensch hat das Anrecht, die eigenen Lernbedürfnisse zu befriedigen – und das ein Leben lang.

Der Großteil der Privatschulen würde ohne staatliche Zuschüsse gar nicht bestehen können. Das ist zugleich ein Problem und eine mögliche Lösung. In seinem Artikel Privatschulen wollen mehr Geld vom Staat – echt jetzt? (Bezahlinhalt) berichtet Bent Freiwald über die Finanzierung von Privatschulen. Er hinterfragt, ob die zusätzlichen Mittel wirklich den gewünschten Effekt auf Bildungsgerechtigkeit haben oder ob sie vielmehr bestehende Ungleichheiten verfestigen. Hier eine provokante Idee: Warum nicht private Schulen in Teilen verstaatlichen? Zum Beispiel bei der Finanzierung.

Mehr Geld für Privatschulen – und dann? 

Ich bin der Meinung, dass eine teilstaatliche Finanzierung sinnvoll ist, weil sie sicherstellt, dass innovative pädagogische Konzepte und kleinere Klassen nicht nur einer Gruppe vorbehalten bleibt, die sich eine Privatschule leisten kann. Wenn der Staat die Finanzierung erweitert, könnten Privatschulen als Modell für das öffentliche System dienen und moderne Bildungsansätze verbreiten. Vielleicht genau das, was wir brauchen, um mehr Bildungsgerechtigkeit zu schaffen. Stellt euch vor, wir könnten die guten Strukturen der Privatschulen aufgreifen und sie so weit in das staatliche System integrieren, dass alle – seien wir realistisch: mehr – Kinder und Jugendlichen davon profitieren, unabhängig von ihrem finanziellen Hintergrund. 

Eine Schule für alle, die fördert, statt zu trennen. Ein System, das Chancen eröffnet, statt Türen zu schließen. Ein Modell, das Zusammenarbeit fördert, statt Konkurrenz zu schaffen. Ein Schritt zu mehr Chancengleichheit im Bildungssystem.

Sowohl als auch: Aber vielleicht auch ein Lösungsweg

Die Idee, private Schulen teilweise zu verstaatlichen, finde ich durchaus charmant. Natürlich würde das nicht alle Probleme lösen, aber es könnte ein erster Schritt in die richtige Richtung sein, um langfristig mehr Bildungsgerechtigkeit zu schaffen. Warum nicht die innovativen Ansätze und die individuelle Förderung, die viele Privatschulen bieten, auch für das staatliche Schulsystem nutzbar machen? Mit einer Teilverstaatlichung könnten die besten Aspekte beider Welten kombiniert werden: die Flexibilität und Kreativität privater Schulen, ergänzt durch die Stabilität und Zugänglichkeit des staatlichen Systems. 

Um wirklich (mehr) Bildungsgerechtigkeit zu erreichen, muss die Politik endlich ernsthafte und langfristige Investitionen in die Bildung tätigen. Der erste Schritt beginnt beim Personal: Wir brauchen mehr Lehrkräfte und eine qualitativ hochwertige Ausbildung, die sie gezielt auf die Praxis vorbereitet. Auch die Arbeitsbedingungen müssen dringend verbessert werden, damit pädagogische Fachkräfte nicht bis zur Erschöpfung arbeiten und letztlich den Beruf aufgeben. Hinzu kommen die Schulen selbst – bröckelnde Wände, veraltete Infrastruktur und marode Gebäude sind vielerorts Realität (Lehrer News berichtete). An vielen Standorten fehlen bereits die Mittel, um bestehende Gebäude instand zu halten, ganz zu schweigen von dringend benötigten Neubauten. Und dann wäre da noch die Digitalisierung: Tablets allein reichen nicht, wenn das WLAN ständig ausfällt oder Lehrkräfte im Umgang mit der Technik unvorbereitet sind.

Mein persönliches Ziel ist es, irgendwann nicht mehr über die immer gleichen Probleme berichten zu müssen – über die endlosen Debatten zum Digitalpakt, über marode Schulgebäude und deren Toiletten, die keiner nutzen will – sofern sie denn funktionieren. Ich träume davon, dass Bildung als das erkannt wird, was sie ist: eine Investition in die Zukunft. Eine Investition, die nicht nur den Schüler:innen zugutekommt und Lehrkräfte unterstützt, sondern der gesamten Gesellschaft dient. Dafür braucht es Willen und die Bereitschaft, Bildung wirklich wertzuschätzen und ihr endlich die nötige Priorität einzuräumen. Die Frage bleibt: Was ist uns die Bildung unserer Kinder und damit unsere Zukunft wirklich wert?

Gute Bildung kostet viel. Aber schlechte Bildung kostet uns viel mehr. 
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