Es ist bereits fast zwei Monate her, dass die Russische Föderation die Ukraine in Form eines Angriffskrieges überfallen hat. Der Krieg bringt Zerstörung und Opfer mit sich, aber auch Millionen von Geflüchtete. Nach Angaben des UN-Flüchtlingskommissariats UNHCR haben bereits über vier Millionen Ukrainer:innen ihr Heimatland verlassen müssen, darunter auch viele Kinder und Jugendliche. Neben staatlichen humanitären Hilfeleistungen und Sanktionen gegen Russland wird auch im Alltag versucht, den geflüchteten Menschen in Deutschland unter die Arme zu greifen. Viele junge Kinder sollen in das deutsche Schulsystem integriert werden. Dadurch soll nicht nur ihre Bildung weitergeführt werden, sondern auch eine soziale Anschließung an die Gesellschaft gesichert werden. Viele dieser Kinder leiden psychisch unter dem, was ihnen durch den Krieg und durch die Flucht widerfahren ist. Sie brauchen deshalb gezielte Unterstützung. Lehrer-News möchte darlegen, wie sich Kriegserfahrungen auf betroffene Kinder auswirken und was getan werden kann, um diesen Betroffenen zu helfen.
Dr. Ulrike Schmidt ist Fachärztin für Psychiatrie und leitet am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München die Trauma-Ambulanz. Sie sprach Anfang März in einem Interview mit der Tagesschau darüber, wie sich Kriegstrauma auf die Psyche des Menschen auswirken kann und wie diese Menschen versorgt werden müssen. Dr. Schmidt hat bereits mit Betroffenen aus verschiedenen Regionen der Welt gearbeitet, so auch mit Geflüchteten aus Afghanistan und Syrien. Sie erklärt, dass Kinder und Erwachsene unterschiedlich auf Kriegserfahrungen reagieren. “Kleinkinder lernen Angst, spüren die Bedrohung und verändern sich womöglich auch psychisch, aber sie werden kaum über Flashbacks berichten können. […] Ältere Kinder können hingegen eine Posttraumatische Belastungsstörung entwickeln […]”, so Schmidt. Weiterhin informiert sie über den Unterschied der medizinischen Begrifflichkeiten. So stellt ein Trauma das Kriegserlebnis dar. Eventuelle psychische Krankheiten, die sich nach solch einem Erlebnis entwickeln können, werden Traumafolgestörungen genannt. Traumafolgestörungen äußern sich vielfältig, vor allem aber durch Flashbacks. Flashbacks sind sogenannte Nachhall-Erinnerungen, die Menschen vor dem inneren Auge immer wieder ablaufen und sie dadurch die schlimmsten Momente wieder durchleben lassen. Zudem kann Vermeidungsverhalten und Gefühllosigkeit auftreten. Betroffene können außerdem sehr schreckhaft sein und zittern stark.
Als Außenstehender ist die beste Hilfe, die angeboten werden kann, das Zuhören und das Trösten. Das Sprechen über Erlebnisse, sei es mit ausgebildeten Therapeuten oder Mitmenschen, ist essentiell für die Aufarbeitung und Behandlung einer Traumafolgestörung. Es sollte jedoch darauf geachtet werden, nicht aufdringlich zu sein und auch kein Kind zum Reden zu erzwingen. Anknüpfend daran ist es besonders wichtig, die Sprachbarriere zu überwinden, denn nur so können Kinder auch verstanden werden. Menschen, die die ukrainische Sprache beherrschen, sollten dafür herangezogen werden. Die Kommission der Kultusministerkonferenz legt großen Wert auf die Integration der geflüchteten Kinder in das deutsche Schulsystem. Dadurch können die Kinder positive Kontakte zu Gleichaltrigen aufbauen. Auch Dr. Schmidt erklärt in ihrem Interview, dass Soziale Kontakte einen Schutzfaktor darstellen. Weiterhin bietet ein geregelter Schulalltag ein wenig Normalität im Leben an. Außerdem sollten die Kinder in ihrer sprachlichen Kompetenz unterstützt werden, denn je länger sie in Deutschland bleiben, desto wichtiger ist es für den sozialen Anschluss, über die deutsche Sprache zu beherrschen. Das Angebot gemeinsamer Freizeitangebote, auf deutsch sowie auf ukrainisch, kann den Kindern ebenfalls helfen. Weiterhin wird Kitas und Schulen empfohlen, Betroffene durch das Verteilen von Broschüren und Hilfstelefonen auf ukrainischer Sprache zu unterstützen. Wichtig ist, dass Betroffenen Entscheidungsfreiheit gelassen wird und das, auch wenn gerne geholfen werden möchte, mit Zurückhaltung an das Ganze herangegangen werden sollte. “Gerade wenn jemand Opfer geworden ist, stärkt es denjenigen, auch wieder mündiger Mensch sein zu dürfen”, so Dr. Julia Schellong.
Am besten kann Kindern, deren Psyche leidet, natürlich aber immer noch durch professionelle therapeutische Behandlung geholfen werden. Leider sind Therapieplätze in Deutschland extrem knapp. So stellt es leider keinen Einzelfall dar, dass sich manche Menschen jahrelang nach einem Therapieplatz erkundigen müssen. Viele Hilfsstellen, so unter anderem das Berliner Zentrum Überleben, sind zusätzlich bereits in ihren Kapazitäten ausgelastet. Das liegt zumal auch daran, dass natürlich auch Geflüchtete aus anderen Kriegsgebieten, wie Syrien oder Afghanistan, ebenfalls Unterstützung brauchen. Die Geschäftsführerin des Zentrum Überleben, Karin Weiss, fordert deswegen von der Politik mehr Geld für Angebote, eine größere Dichte an Therapiemöglichkeiten und eine breitere Übernahme durch Kostenträger. “Wir nehmen seit Jahren mehr Geflüchtete auf, was gut ist, aber die Versorgungsstrukturen kommen nicht hinterher“, so Weiss.
Auch diese Statistik von 2019 macht noch einmal deutlich, dass Deutschland an einem Mangel an Psychotherapeuten leidet und damit auch an Psychotherapieplätzen.
Die Telefonseelsorge “Doweria” berät Menschen auf Russisch und ist erreichbar unter 030 440308 454. Das eben vorgestellte “Zentrum Überleben” in Berlin ist unter der 030 3039060 erreichbar. Hier werden gezielt Geflüchtete psychotherapeutisch unterstützt. Das Online-Portal TherapeutInnen-Suche kann ebenfalls bei der Suche nach qualifizierter Hilfe helfen. Letztlich stellt die Bundesregierung eine Reihe an Telefon- und Online-Stellen vor, die im Krisenfall Beistand leisten und über weitere Hilfe informieren. Kennen Sie noch weitere Anlaufstellen oder Ratschläge, die geflüchteten Kinder unterstützen? Lassen Sie es uns gerne in den Kommentaren wissen. Weitere Lehrer-News Artikel über die Ukraine können Sie hier und hier lesen.