Lernatelier der Alemannenschule Wutöschingen (Quelle: Alemannenschule)
In einem kleinen Ort am südöstlichen Rand des Schwarzwaldes wird an der Alemannenschule Wutöschingen (ASW) das Konzept der Schule ganzheitlich anders gelebt, als es uns von klassischen Schulen in Deutschland bekannt ist. Wir möchten euch mit unserer aktuellen Themenwoche „Zukunft der Bildung“ eine Gemeinschaftsschule vorstellen, die als Vorreiter und Innovationstreiber der Bildungslandschaft seit über zehn Jahren zeigt, wie die Schule von Morgen länderübergreifend aussehen könnte.
Doch bevor wir uns der Genese dieser Schule widmen, hier zunächst ein kurzer Überblick, warum wir euch die ASW im Rahmen unserer Themenwoche “Zukunft der Bildung” vorstellen.
2005 kam Stefan Ruppaner als Rektor an die Alemannenschule, die zu der Zeit noch als Grund- und Hauptschule galt. Zwei Jahre später stoß Ruppaner durch Zufall auf die Dokumentation “́Treibhäuser der Zukunft” ́von Reinhard Kahl. Im Film wurde darüber berichtet, wie Achtklässler selbständig lernen. Ruppaner sagt, er habe diesem Konzept am Anfang nicht viel Glauben schenken wollen und musste sich erst einmal persönlich ein Bild verschaffen. So besuchte er mit zwei weiteren Kollegen die Bodenseeschule in Friedrichshafen. Dies gab ihm Anschub, eine Veränderung in Gang zu setzen und es selbst einmal – anfangs mit einer fünften und sechsten Klasse – auszuprobieren. Dazu überzeugte Ruppaner die Gemeinde, dass kooperative Lernbereiche notwendig seien, weshalb in der oberen Etage der Schule Wände rausgerissen wurden, um das jetzige Lernatelier zu schaffen. Zu Beginn – erzählt Ruppaner – gab es nur fünf bis sechs von 30 Kolleg:innen, die mit ihm zusammen bei der Neukonzeptionierung mitgingen. Gemeinsam mit ein paar engagierten Grundschullehrer:innen, die sich bereit erklärten die fünfte und sechste Klasse zu übernehmen, der externen Hilfe des Pädagogen und Schulgründer Peter Fratton, welcher das Konzept schrieb und der Zustimmung des Bürgermeisters, begann so eine Reise die mit vielen Strukturaufbrüchen. Mittlerweile begleitet die ASW rund 900 Schüler:innen und einige sogar bis zur gymnasialen Oberstufe.
Statt Lehrer:innen gibt es an der ASW sogenannte Lernbegleiter. Eine Umfrage ergab, dass sich zukünftig ca. 40 Prozent der Lehrer:innen in der Rolle eines Lernbegleiters sehen statt in der eines reinen Wissensvermittlers. Der Anspruch an die Lernbegleiter sind dementsprechend auch andere. Ein typischer Tagesablauf eines Lernbegleiters an der ASW könnte – laut Angaben von Herrn Ruppaner – demnach folgendermaßen aussehen:
Im Vergleich zu den Aufgaben, die einer klassischen Lehrrolle zukommt, unterrichtet ein Lernbegleiter in der ASW keine 27 Deputatsstunden, sondern nur noch 12 Unterrichtsstunden, berichtet uns Herr Ruppaner. Dafür ist der Lernbegleiter allerdings 35 Zeitstunden an der Schule anwesend. In dieser Zeit gibt er seine 12 Unterrichtsstunden als Input-Stunden für bestimmte Fächer oder steht als Fachcoach für Beratungen zur Verfügung. Außerhalb dieser 12 „Unterrichtsstunden“ (die eigentlich keine mehr sind) begleitet der Lernbegleiter eine Lerngruppe von 15 Lernpartnern aus drei unterschiedlichen Jahrgängen. Jeder Lernpartner bekommt dabei pro Woche mindestens 15 Minuten Lerncoaching.
Die Lernmaterialien sind im Materialnetzwerk (MNW) der Schule kostenlos als Open Educational Resources für das selbstorganisierte Lernen bereitgestellt. Lehrenden und Lernenden sind die Materialien frei zugänglich. Mit der Digitalen Lernumgebung (DiLer) können die Schüler:innen zudem jederzeit ihren Lernprozess dokumentieren. Bei Interesse an einer Mitgestaltung der Materialien als Autor:in, ist ein Zugang zu dem Editor nötig, für den sich alle Privatpersonen und Schulen registrieren können. Voraussetzung für das Erstellen von Materialpaketen und Einzeldokumenten ist das Bausteinprinzip, welcher die Struktur und das Layout bestimmen. Des Weiteren müssen Kriterien erfüllt werden, welche die Niveaustufen Mindest-, Regel- und Expertenstandard bedienen. Diese basieren auf der Theorie von Gerhard Ziener und gelten als Grundlage der von der ASW entwickelten Kompetenzraster.
Laut Ansprechpartnerin Isabel Budde – zuständig für Verwaltung, Kommunikation und Koordination des Materialnetzwerkes – arbeiten aktuell bereits 40 Schulen und 1000 Lehrpersonen mit dem MNW-Editor. Darunter sei von Grundschulen bis Montessorischulen, Realschulen, Gymnasien, Gemeinschaftsschulen und Berufsschulen alles dabei.
Auf die Frage wie lange es anfangs gedauert hat, bis sich die Entscheidungsträger auf ein Konzept geeinigt hatten und dieses final umsetzbar war antwortet Herr Ruppaner, dass dies in Wutöschingen kein Problem war, da er selbst seit fast 30 Jahren im Gemeinderat tätig ist. Auch die finanziellen Aspekte einer solchen Neustrukturierung sollten anderen Schulen nicht im Wege stehen, er sieht diese eher als „vorgeschobene Argumente“, da die ASW mit dem aktuellen System sogar Geld einspare und es insgesamt eindeutig günstiger ausfallen würde.
Ob es auch Tiefpunkte gab, beantwortet Ruppaner, damit dass es vor allem die Kritiker und „Angriffe von außen“ waren, die bezweifelten, ob die Ideen und Visionen alltagspraktikabel seien und ob es überhaupt funktioniere „wenn man Kinder alles machen lässt“. Er schildert, dass es an der ASW jedoch genauso Regeln und Vereinbarungen gibt, wie an jeder anderen Schule auch. Heute kann er sowohl mit der Unterstützung der Eltern als auch der Gemeinde fest rechnen. Den Erfolg reflektieren vor allem die überdurchschnittlichen Leistungen der Kinder sowie die Auszeichnung des Deutschen Schulpreises 2019.
Habt ihr schon mal von der Alemannenschule Wutöschingen gehört? Wie findet ihr das Konzept des selbstorganisierten Lernens? Lasst uns gerne einen Kommentar da.