Wie kurz ist in der Schule noch okay? (Quelle: Canva)
Sömmerda. Am vergangenen Montag trat an der staatlichen Regelschule "Christian Gotthilf Salzmann" im thüringischen Sömmerda eine Kleidervorschrift in Kraft, die Mädchen und Jungen verbot, bauchfreie Oberteile sowie kurze Shorts zu tragen. Nach Protesten seitens der Schüler:innen und einer kontroversen Debatte in ganz Deutschland zog die Schule die Kleiderordnung zurück.
Die Diskussion zu Kleidervorschriften in Schulen ist alt, trotzdem kocht sie jeden Sommer wieder hoch. Unter Schüler:innen, die sich in ihrer Freiheit nicht eingeschränkt fühlen wollen und Lehrer:innen, die eine “angemessene” Kleidung fordern, herrscht noch lange kein Konsens darüber: Wie knapp darf die Kleidung von Schüler:innen während der Schulzeit sein? Und wer bestimmt, wie kurz noch in Ordnung ist?
Lehrer:innen finden die von Schüler:innen gewählte Kleidung in den Sommermonaten häufig zu kurz und fordern die Eltern auf, mit ihren Kindern und insbesondere mit ihren Töchtern über ihre Kleidung zu sprechen und dafür zu sorgen, dass diese mit längerer Kleidung zur Schule kommen. In einem Elternbrief des Goethe-Gymnasiums in Weimar heißt es beispielsweise: “Die aktuelle Mode mit bauchfreien Shirts, Hot Pants, oder kurzen Schulmädchenfaltenröcken ist sicherlich schön in der Freizeit und am Strand, nicht aber in der Schule.”
Bei Eltern und Schüler:innen treffen solche Aufforderungen auf gemischte Reaktionen. Auf einen Brief von Lehrern an das Kollegium eines Gymnasiums in Erfurt, laut dem sich einige Schüler:innen zu freizügig kleiden würden und die Schüler dadurch abgelenkt werden könnten, reagiert die 13-jährige Anna skeptisch: "Es ist warm, und da sollte man sich schon so anziehen dürfen, wie man will. Vor allem dürfen solche Regeln nicht nur für Frauen gelten. Es gibt auch Typen an unserer Schule, die manchmal shirtlos rumlaufen, und wenn wir gleich angefaucht werden, weil wir unseren Bauchnabel zeigen, finde ich das schon ziemlich unfair", erklärt sie gegenüber dem MDR. Andere Schüler:innen sehen in einer Kleiderordnung den Versuch des Schutzes, zum Beispiel vor Diskriminierung.
So wurde auch die neue Kleiderordnung in der Kreisstadt Sömmerda begründet, die am vergangenen Montag in Kraft trat. Hintergrund der verschärften Kleiderregeln seien Mobbingfälle, die es wegen der Kleidung einiger Schüler:innen gegeben habe, erklärte Schulleiterin Antje Koch. Die Jugendlichen durften keine Kleidungsstücke mehr tragen, die den Bauch frei lassen. Der Oberkörper musste ab Schulterhöhe bis Mitte der Oberschenkel von Kleidung bedeckt sein. Einen religiösen Hintergrund habe es für die angepasste Kleiderordnung nicht gegeben.
Nach Aussagen der Schüler:innen sei die Ordnung seitens der Lehrkräfte schnell ernst genommen und umgesetzt worden. So habe es in der vergangenen Woche bereits Kontrollen gegeben. Wenn die Arme am Körper anliegend über das Ende der Shorts reichten, seien die Betroffenen darauf hingewiesen oder sogar nach Hause geschickt worden, teilten Schüler:innen dem MDR mit.
Die Kleiderordnung sorgte bundesweit für Aufsehen und unter den Jugendlichen in Sömmerda für eine kontroverse Debatte. Eine Schülerin der zehnten Klasse ist der Meinung, "dass das [Einführen der Kleiderordnung] ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist". Es gibt allerdings auch Schüler:innen, die die Entscheidung zur Kleidervorschrift verstehen, besonders, wenn diese als Schutz fungieren soll. So habe es in der Begründung zur Ordnung geheißen, sie solle verhindern, dass die Kinder wegen freizügiger Kleidung Frühsexualisierungen oder gar Übergriffen zum Opfer fallen. Außerdem seien Schüler:innen wegen bauchfreier Kleidung an der Salzmann-Schule bereits von anderen gehänselt worden. Ein Schüler versteht deswegen, dass eine Kleiderordnung helfen soll, und meint: "Die Lehrer versuchen ja nur, die Betroffenen zu schützen."
Das Verbot wurde nach drei Tagen, am vergangenen Donnerstag, wieder zurückgenommen. Die Schulleiterin habe das entschieden, sagte eine Mitarbeiterin der Schule auf Anfrage des MDR. Zu den Hintergründen machte sie keine Angaben. Schon als die Kleiderordnung in Kraft trat, erklärte der Sprecher des Landesbildungsministeriums dazu, dass es keine allgemeine Empfehlung des Freistaates Thüringen zu Kleiderordnungen gebe. Dabei betonte er, dass Schüler:innen in ihren Freiheitsrechten nicht übermäßig eingeschränkt werden sollten. Der Bundeselternrat hatte geäußert, die Diskussion über Kleiderordnungen an Schulen grundsätzlich zu unterstützen. Vorsitzende Christiane Gotte ist der Meinung, die Debatte über Kleiderordnungen könne für mehr Klarheit sorgen.
Schulamtsleiter Ralph Leipold sieht die Verantwortung bezüglich der Kleidung von Schüler:innen vor allem bei den Eltern: "Die Eltern sind in der Pflicht, ihre Kinder vor Schulbeginn zu kontrollieren und zu einer nach ihrer Einschätzung angemessenen Bekleidung anzuhalten." Eine Schule habe dafür nicht die rechtlichen Grundlagen. In der Erfurter Friedrich Schiller Schule hat es anstatt einer Kleiderordnung deshalb die kreative Idee gegeben, die Frage der angemessenen Kleidung gemeinsam zu diskutieren, um später einen “Dresscode” innerhalb der Klasse festzulegen. Habt ihr einen Weg gefunden, beim Thema Kleidung im Sommer mit euren Schüler:innen auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen? Schreibt es uns in die Kommentare.