“Ausdruck der Verzweiflung”: GEW sieht Vier-Tage-Woche kritisch

(Quelle: KiwiHR)

Die Vorschläge gegen den Lehrermangel sind vielfältig, während sich die Situation in der Praxis immer weiter verschärft. Sie reichen von der Erhöhung der Attraktivität des Lehrerberufs bis hin zur Entlastung durch die Ausbildung multiprofessioneller Teams. Ein jüngerer Vorstoß dreht sich um die Einführung der 4-Tage-Woche, die bereits in einigen Bundesländern erprobt wird. Kann damit das Problem in den Griff bekommen werden?

Wer kennt denn nicht den alltäglichen Marsch zur Schule von Montag bis Freitag? Sobald es losgeht mit dem Schulalltag, sind nur Samstag und Sonntag die Tage, an denen von Kindern und Jugendlichen keine Pflichten erwartet werden. Der Schulalltag kann jedoch nur solange stattfinden, wie es auch Lehrkräfte gibt, welche sich den Schüler:innen widmen können. Eine Tatsache, die immer mehr problematischer erscheint, angesichts der geringen Anzahl an Lehrkräften. 

Eine Verzweiflungsaktion der unterbesetzten Schulen: Freitag wird zum Freien Tag. Nur noch viermal in der Woche sollen Schüler:innen in die Schule kommen. Das soll allerdings nicht heißen, dass Schüler:innen überhaupt nichts mehr leisten sollen. Der fünfte Tag soll stattdessen fürs ‘freie Lernen’ genutzt werden. Einige Wege, diese Tage zu nutzen, wären digitales eigenständiges Lernen oder Praxislerntage bei Unternehmen. 

Vier-Tage-Woche und Lehrermangel 

Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Partei “Die Linke” sah schon im Februar in der Aktion viel mehr einen Schrei danach, endlich einen Fokus auf die Bildung zu setzen. “Wenn sich Schulen wegen des eklatanten Lehrermangels gezwungen sehen, mit einer Vier-Tage-Woche zu drohen, dann ist es höchste Zeit, Bildung zur Priorität im Kanzleramt zu machen", meint Bartsch.

Es steht außer Frage, dass das System, nach dem die Lehrkräfte Deutschlands arbeiten, reif ist für eine Überholung. Seit mittlerweile 150 Jahren steht die 50-Stunden-Woche auf dem Arbeitsplan. Angerechnet wird den Lehrer:innen allerdings nur ein Bruchteil dieser Zeit – die 23 bis 27 Unterrichtsstunden in der Schule selbst. Diese Zahlen repräsentieren allerdings nicht akkurat all den Aufwand, den der Lehrerberuf erfordert. Ein Großteil der Arbeit erfolgt außerhalb der fünf Wochentage in Form von Unterrichtsvorbereitungen oder Korrekturen. Das Vorurteil vom Lehrerberuf als entspannten Bummeljob ist schon lange überholt. Die hohen Anforderungen, die mangelnde Attraktivität des Berufs und die sich anbahnende Pensionierung noch aktiver Lehrkräfte sorgen für einen Supergau: Keine Lehrkräfte und keine Interessenten, die diese Lücke zu füllen vermögen. 

Lösung in der Not?

Aber Not macht ja bekanntlich erfinderisch. Eine Lektion, die Deutschland zuletzt zu Zeiten der Corona-Pandemie und beim Übergang auf digitale Lernmethoden lernen musste. In dieser Hinsicht bietet aber auch die Vier-Tage-Woche Vorteile. Das Modellprojekt 4+1 in Sachsen-Anhalt ist bereits an zwölf Sekundar- und Gemeinschaftsschulen vertreten. Vier Tage Schule, plus einen Tag zur kreativen Lernerfahrung, der für ein Praktikum in einem Betrieb oder für digitalen Unterricht gedacht ist. Dadurch soll mehr Spielraum für die Unterrichtsplanung und -durchführung geschaffen werden. Evaluiert wird das Projekt vom Landesschulamt und dem Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung. Befürworter in der FDP sehen abseits der Entlastung von Lehrkräften auch Potenzial darin, einen engeren Draht zwischen Schule, Wirtschaft und Wissenschaft herzustellen. 

Das Konzept einer Vier-Tage-Woche ist an sich nichts Neues. In anderen Branchen und Bereichen ist sie bereits Alltag mit positivem Einfluss auf die Mitarbeiterzufriedenheit. Allerdings gibt es auch kritische Stimmen: “Überall, wo “am Menschen” gearbeitet wird (Pflege-, Lehr- oder Erzieherberufe) kann nur sehr begrenzt Arbeitstempo und Produktivität erhöht werden.” Damit wird die Vier-Tage-Woche für diese Bereiche weniger ansprechend. 

Kritik und Debatte

Die Vier-Tage-Woche steht auch in der Kritik. Allein was das Vier+Eins Projekt in Sachsen-Anhalt betrifft, gab es reichlich Kritik vonseiten der Lehrergewerkschaften. Die Hauptkritik gilt dem immensen Planungsaufwand der hinter einem solchen ‘plus eins’-Tag steckt. Laut dem Landesvorsitzenden Torsten Wahl muss ein solcher Tag “gut in die Unterrichtsarbeit eingeplant, vorbereitet, durchgeführt und nachbereitet werden.” Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) geht so weit und erklärte es als eine “Bankrotterklärung des Landes Sachsen-Anhalt im Bildungsbereich“. Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, sieht in dem Projekt das Risiko von Niveauverlust.

In Mecklenburg-Vorpommern wird die  Vier-Tage-Woche derzeit kontrovers diskutiert. Die Linke Kultusministerin Simone Oldenburg bezweifelt eine Vereinfachung vom Schulalltag mit der Begründung, dass auch der fünfte Tag geplant werden müsse. Andreas Butzki, bildungspolitischer Sprecher der SPD, meint, die Idee ist “nur nett gedacht” und allenfalls ein “Sparmodell”. 

Landtagsabgeordnete Jutta Wegner von den Grünen gibt sich offener, mit Betonung darauf, dass es an der Zeit sei, eine Lösung für den Lehrkräftemangel zu finden und ruft zur lösungsorientierten Debatte auf. 

Ulf Rödde, Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), hat gegenüber Lehrer-News ebenfalls Stellung bezogen. Aus Sicht der GEW wäre die Vier-Tage-Woche keine Lösung, sondern allenfalls “Ausdruck der Verzweiflung”. Einem administrativen Verbot solcher Notfall-Initiativen steht er allerdings kritisch gegenüber. “Ärgerlich ist es trotzdem, wenn ein Ministerium darauf nur mit Verbot reagiert, statt an den zugrundeliegenden Problemen der Schule anzusetzen”, meint Rödde. Logistische Probleme sieht er zudem beim Konzept, welche von dem Betreuungsproblem und der Belastung der Eltern, bis hin zu der Frage, wie man beispielsweise “an einer Grundschule, an der Vollzeit-Lehrkräfte 28 Stunden unterrichten müssen, die Kinder aber maximal sechs Unterrichtsstunden am Tag haben, eine Vier-Tage-Woche organisieren” reichen. An weiterführenden Schulen würde schon allein der Pflichtunterricht nicht mehr vollständig in die Vier-Tage eingearbeitet werden können. Zusammenfassend fügt Rödde hinzu, “Alle Ideen für Vier-Tage-Wochen an Schulen sind ein untauglicher Versuch, Personalbedarfe zu reduzieren, mit dem Argument, das Personal sei nicht zu bekommen.”

Dass solche Maßnahmen überhaupt erst in Erwägung gezogen werden müssen, zeugt davon, wie hochkritisch der Lehrkräftemangel an Schulen geworden ist, doch Rödde sieht auch Alternativen: “Die GEW hat schon seit Jahren immer wieder Vorschläge für Maßnahmen gegen den Lehrkräftemangel vorgelegt und ist bereit, mit der Kultusministerkonferenz über diese zu verhandeln, zuletzt im Rahmen eines 15-Punkte-Plans.”

Was sind eure Einschätzungen zur Notlösung Vier-Tage-Woche? Teilt eure Meinung gerne in den Kommentaren!

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