Eine E-Zigarette mit geöffnetem Verdampferkopf (Quelle: Unsplash)
Rauchen ist das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko in Deutschland. Jedes Jahr sterben hierzulande rund 127.000 Menschen an den Folgen des Tabakkonsums. Trotz zahlreicher Kampagnen, gestiegener Steuer, abschreckenden Bildern auf Packungen und anderen Maßnahmen ist der Tabakkonsum nur leicht rückläufig: Laut Zahlen des Gesundheitsministeriums liegt die Raucherquote in Deutschland noch immer bei 23,8 Prozent der über 18-jährigen. Besonders besorgniserregend: In der Altersgruppe der 14- bis 17-Jährigen hat sich die Raucherquote im vergangenen Jahr von 8,7 auf 15,9 Prozent nahezu verdoppelt.
Laut einer Erhebung der Krankenkasse Barmer schaffen es nur fünf Prozent der Raucher, ohne Hilfsmittel mit dem Rauchen aufzuhören. Es gibt verschiedene Ansätze, die beim Rauchstopp helfen können. Anlässlich des heutigen Weltnichtrauchertags wollen wir deshalb einen näheren Blick auf einen eher jüngeren Hoffnungsträger in der Reihe dieser Hilfsmittel werfen: die E-Zigarette.
Erfunden wurde sie im Jahr 2002 vom chinesischen Apotheker Lik Hon, der damit die Gesundheit seiner stark rauchenden Landsleute verbessern wollte. Das Prinzip: Eine Trägerflüssigkeit wird zusammen mit reinem Nikotin und Aromastoff elektrisch erhitzt. Anders als Zigaretten verbrennen klassische E-Zigaretten keinen Tabak, wodurch die karzinogenen Substanzen des Tabakrauchs gar nicht erst entstehen.
Aufgrund ihrer hohen Popularität unter Jugendlichen und fehlender Langzeitstudien stehen E-Zigaretten immer wieder in der Kritik. Andererseits wird in der Berichterstattung das Risikoverhältnis im Vergleich zum Rauchen häufig nicht klar herausgearbeitet, was auch für die Suchtprävention in der Schule eine Herausforderung darstellt.
Nach einem kurzen Hype scheint der Siegeszug der E-Zigarette in den letzten Jahren zu einem Stillstand gekommen zu sein. Viele Raucher fühlen sich durch die Informationslage verunsichert und haben sich nach vergeblichem Rauchstopp offenbar dazu entschlossen, „sicherheitshalber“ weiterzurauchen. In anderen Ländern wird die E-Zigarette hingegen von den Gesundheitsbehörden proaktiv als Alternative gefördert.
Inzwischen gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Systeme auf dem Markt. Die großen Tabakfirmen haben den Trend erkannt. Auf Schulhöfen findet man häufig Tabakerhitzer, die deutlich teurer und an einen Hersteller gebunden sind, sowie umweltschädliche Einweg E-Zigaretten. Die klassische E-Zigarette, ein wiederverwendbares offenes System mit Wechselakku, fristet heute eher ein Nischendasein. Trotz oder gerade wegen der unterschiedlichen Produkte stellt sich vielen noch immer die Frage: Können E-Zigaretten wirklich bei der Rauchentwöhnung helfen, und wie sollte das Thema in Beratungssituationen behandelt werden?
Über die Gründe für die unterschiedlichen Herangehensweisen von Public Health bei der Tabakentwöhnung und wie Lehrkräfte mit dampfenden bzw. rauchenden Schülern umgehen sollten, haben wir mit Prof. Dr. Bernd Mayer gesprochen, Inhaber des Lehrstuhls für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Graz. Mayer beschäftigt sich bereits seit vielen Jahren mit dem Thema E-Zigaretten und gilt als einer der führenden Experten auf dem Gebiet im deutschsprachigen Raum. Er sagt: „Es ist keine Situation denkbar, in der es besser wäre zu rauchen, als eine E-Zigarette zu benutzen.“
Lehrer News: Dass Rauchen gefährlich ist, gilt mittlerweile als allgemein bekannte Tatsache. Trotzdem möchten wir gerne ein paar Details von Ihnen als Toxikologen wissen: Wie schädlich ist das Rauchen?
Mayer: Zigaretten sind überaus gesundheitsschädlich. Auf lange Frist verschlechtert sich der Gesundheitszustand eines Rauchers erheblich. Vor allem das Risiko für diverse Krebsarten, allen voran der Lungenkrebs, steigt. Mittlerweile kennt man 20 verschiedene Krebsarten, die mit dem Rauchen assoziiert werden, hinzu kommen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, verminderte Kondition und vieles andere. Ca. 50 Prozent der Raucher sterben vorzeitig, die Lebenserwartung von Rauchern verkürzt sich um etwa 10 Jahre.
Lehrer News: Unter Jugendlichen gab es jahrelang einen Rückgang bei der Raucherprävalenz, zuletzt ist diese in Deutschland im Jahr 2022 jedoch wieder sprunghaft gestiegen. Was ist Ihre Erklärung dafür und welche Rolle spielen E-Zigaretten dabei?
Mayer: Ich glaube nicht, dass E- Zigaretten hierbei eine wesentliche Rolle spielen, weil sie noch immer nicht weit verbreitet sind. 2022 haben 2,5 Prozent der deutschen Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren gedampft, während 16 Prozent geraucht haben. Ich vermute, dass der Anstieg sehr viel mit der Pandemie zu tun hat: Vor allem Stress und verschiedene andere pandemiebedingte Faktoren dürften dazu beigetragen haben, dass Jugendliche in dieser Zeit wieder vermehrt angefangen haben zu rauchen.
Lehrer News: Sie vertreten die Ansicht, dass Raucher auf E-Zigaretten umsteigen sollten. Ersetzt man damit nicht das eine schädliche Produkt durch ein anderes?
Mayer: Es gibt mittlerweile einen internationalen Konsens in der Forschung, dass E-Zigaretten zumindest 95 Prozent, wenn nicht sogar 99 Prozent weniger schädlich sind als Tabakzigaretten. Es gibt detaillierte Emissionsanalysen von E-Zigaretten, in denen die Inhaltsstoffe des Dampfs auf deren Krebspotential untersucht worden sind. Dabei wurde festgestellt, dass das lebenslange Krebsrisiko von E-Zigaretten um den Faktor 50 bis 100 geringer ist als bei Tabakzigaretten. Gegenüber Nikotinpflastern und Kaugummis erlauben E-Zigaretten die Aufrechterhaltung des Rauchrituals. Die Erfolgsraten sind deshalb deutlich höher als bei medizinischen Nikotinersatzprodukten.
Lehrer News: Immer wieder liest man jedoch von fehlenden Langzeitstudien. E-Zigaretten mögen zwar durch die Abwesenheit von Teer und Kohlenmonoxid das Risiko für Lungenkrebs weitgehend ausklammern, kann man aber deshalb sagen, dass sie auf lange Sicht insgesamt risikoarm sind?
Mayer: Ich hatte diese Diskussion bereits vor rund 10 Jahren im österreichischen Gesundheitsministerium, bei der die Mehrzahl der Beteiligten strikt dagegen waren. Da wurde von einer Wiener Kollegin auch das Argument der fehlenden Langzeitstudien vorgebracht. Sie schlug für solche Studien eine Dauer von 60 Jahren vor. Ein Zeitraum, den die meisten Raucher wohl nicht mehr erleben würden. Nehmen wir an: 10 Jahre reichen. Wie geht man da vor? Um die Schädlichkeit des Dampfens nachzuweisen und diese von den Vorschäden des Rauchens zu trennen, müsste man Nichtraucher heranziehen. Man müsste also Nichtraucher verpflichten 10 Jahre lang zu dampfen. Oder man stellt einen Vergleich ehemaliger Raucher mit verschiedenen Nikotinersatzprodukten an. Da stellt sich die Frage: welches Produkt untersuche ich, worauf schaue ich? Meines Wissens gibt es über 300 verschiedene Aromastoffe. Wenn ich nun eine Studie 10 Jahre lang mit Erdbeer-Aroma durchführe, wird nachher das Argument kommen: „Gut, Erdbeere ist sicher, aber was ist mit Mango oder Zimt?“ – Man sieht, die Durchführung einer Studie, die von Gegnern als definitiv akzeptiert würde, ist nahezu unmöglich.
Wenn man für "Langzeit" hingegen fünf Jahre anberaumt, so gibt es durchaus schon Studien, beispielsweise von Riccardo Pollosa, der ein Kollektiv von Asthma und COPD-Patienten, die auf E-Zigaretten umgestiegen sind, über diesen Zeitraum beobachtet hat und dabei eine deutliche Verbesserung der allgemeinen und vor allem der Lungen- und Gefäßgesundheit beobachtet hat.
Nennen Sie mir bitte ein einziges Arzneimittel, bei dem Langzeitstudien, wie sie für E-Zigaretten gefordert werden, vor der Markteinführung durchgeführt wurden. Arzneimittel werden typischerweise ein halbes Jahr oder maximal zwei Jahre in Studien untersucht und dann werden sie registriert. Die Wirkungen von Arzneimitteln werden auch nach deren Zulassung beobachtet. Sollten schädliche Effekte auftreten, was gelegentlich der Fall ist, werden diese Arzneimittel umgehend vom Markt genommen, nicht nur von den Behörden, sondern oft von den Herstellern, die negative Schlagzeilen tunlichst vermeiden möchten.
Der gesundheitliche Vorteil vom Umstieg auf das Dampfen ist ganz klar, da besteht von Seiten der Wissenschaft kein Zweifel. Es gibt aber natürlich Gründe, warum das in der Öffentlichkeit anders dargestellt wird.
Lehrer News: …die da wären?
Mayer: Als die E-Zigarette vor über 15 Jahren zum ersten Mal auf den Markt kam, habe ich diverse Nichtraucherorganisationen angeschrieben und sie darauf aufmerksam gemacht, dass es jetzt ein Werkzeug gibt, das innerhalb der nächsten 15 Jahre das Rauchen weltweit eliminieren wird. Anstatt dies freudig zu begrüßen, haben sie diese Produkte bekämpft. Da wurde mir klar: Es geht eigentlich gar nicht um die Gesundheit der Raucher, sondern um eine Ideologie, die Nikotinkonsum und Inhalation grundsätzlich verurteilt.
Lehrer News: In anderen Ländern ist der Umgang mit E-Zigaretten anders als in Deutschland oder Österreich. Im britischen Gesundheitswesen wird ein Ansatz der Schadensminimierung („harm reduction“) verfolgt, der explizit die Nutzung von E-Zigaretten einschließt. Wie konkret sieht das aus?
Mayer: Zunächst einmal: Wann immer ich in Vorträgen über E-Zigaretten spreche und das Beispiel England erwähne, wird von Gegnern das Argument angebracht, dass Studienergebnisse und Politik in England aufgrund der Insellage für andere Länder nicht gelten. Ich frage dann nach, ob die Briten andere Lungen oder ein anderes Herz-Kreislaufsystem als wir haben.
Was ist anders in England? In England wird das Dampfen für Raucher bewusst gefördert und vom Rauchen unterschieden. Spitäler haben dort beispielsweise Schilder angebracht, auf denen in rot das typische Rauchverbotsschild zu sehen ist, während in grün daneben steht „vaping allowed“. Diesen April wurde dort eine Aktion gestartet, in deren Rahmen eine Millionen E-Zigaretten an Raucher verschenkt werden. Damit will England bis 2030 die Raucherrate auf unter fünf Prozent drücken.
Seit ich mich öffentlich mit E-Zigaretten beschäftige, habe ich ebenfalls propagiert, dass der Umstieg für Raucher staatlich gefördert werden sollte. Es werden so viele Nichtraucherorganisationen gefördert, deren Erfolgsraten überschaubar sind. Warum versucht man nicht stattdessen, sozial bedürftige und vulnerable Gruppen mit Gratisaktionen zum Umstieg zu motivieren? Gerade der finanzielle Aspekt ist ein wichtiges Argument, mit dem man Menschen vom Rauchen abbringen kann.
Der Grund dafür, dass dies in England geschieht und bei uns nicht, liegt an der Struktur des Gesundheitssystems: Dort sind sämtliche Krankheitskosten in einem ordentlichen Budget abgebildet, das heißt die gesundheitlichen Folgen des Rauchens belasten den öffentlichen Haushalt. Bei uns und in den meisten anderen Ländern ist dies jedoch nicht der Fall. England ist hier die Ausnahme, wobei auch Neuseeland in diese Richtung geht.
Lehrer News: Die Diskussion wird ja bereits seit Jahren leidenschaftlich geführt. Wie sind diese komplett unterschiedlichen Ansätze in der Public Health Debatte überhaupt entstanden?
Mayer: Die WHO hat sich ganz zu Beginn der Debatte gegen E-Zigaretten ausgesprochen und diese in einen Topf mit Tabakprodukten geworfen. Diese Haltung zeigte sich ganz extrem am Beispiel Indien, einem Land mit einer der höchsten Raucherquoten weltweit, das von der WHO für das Verbot von E-Zigaretten belobigt wurde. Mittlerweile wird diese Position WHO-intern zunehmend in Frage gestellt, aber es fällt vielen Leuten schwer, nach so langer Zeit zurückzurudern und sich einzugestehen, dass man sich geirrt hat.
Es gibt auch unterschwellige Motive in Teilen von Public Health, die sich gegen E-Zigaretten richten. Ein ganz wesentliches ist der über Jahrzehnte vergeblich geführte Kampf gegen das Rauchen – während jetzt eine „bottom-up“-Bewegung von unten entstanden ist, die die Existenz von Einrichtungen der Rauchentwöhnung obsolet macht. Wenn ich mein ganzes Leben lang gegen das Rauchen gekämpft habe, und jetzt macht auf einmal ein anderer vor, dass er es auch ganz alleine schafft, habe ich keine Freude damit. Das stellt teilweise ganze Karrieren in Frage.
Lehrer News: Richten wir den Blick noch einmal genauer auf die Situation an Schulen. Können E-Zigaretten mit ihren Fruchtaromen für junge Menschen nicht auch zu einer Art „Einstiegsdroge“ in das Rauchen von Tabak werden, Stichwort: Gateway-Effekt?
Mayer: Das gesamte Konzept der Einstiegsdroge/Gateway-Effekt ist überaus kontrovers. Das geht zurück auf eine Publikation des Ehepaars Kandel von 2014. In der Studie haben sie Mäuse mit Nikotin vorbehandelt, die darauf eine Präferenz für Kokain entwickelt haben. Es gibt jedoch keine belastbare klinische Studie, die darauf hindeutet, dass Raucher dazu tendieren, eher Kokain zu benutzen als Nichtraucher. Die gleiche Debatte gibt es bei Cannabis, von dem immer wieder behauptet wird, es sei eine Einstiegsdroge für Methamphetamin oder Heroin. Dabei gibt es keinen Hinweis, dass das der Fall ist.
Oft wird mit Assoziationsketten argumentiert: E-Zigaretten-Gebrauch ist assoziiert mit Tabakrauch, Tabakrauchen ist assoziiert mit Alkoholmissbrauch, Alkoholmissbrauch ist assoziiert mit dem Missbrauch von harten Drogen. Der Gebrauch von harten Drogen ist assoziiert mit Kriminalität und Prostitution. Wenn ich diese Kette immer als kausalen Zusammenhang interpretiere im Sinne von „A führt zu B, B zu C, etc.“ wäre die Schlussfolgerung, dass E-Zigaretten zu Kriminalität führen, was selbstverständlich absurd ist. Assoziation ist eben nicht gleich Kausalität. Natürlich wird man eine Assoziation zwischen E-Zigarettennutzern und Rauchern finden, weil diese eine ähnliche Persönlichkeitsstruktur oder „common liability“ haben. Das Konzept der Einstiegsdroge und des Gateways halte ich für verfehlt, zumal nicht definiert ist, welche Anteile für den Beleg eines Gateways erforderlich wären.
In Bezug auf die Attraktivität von Aromen für Jugendliche möchte ich sagen: Kinder essen Schokoladeneis lieber, als dass sie Schnee runterschlucken, und auch Erwachsene essen lieber Schokoladeneis. Beim Alkohol ist es das gleiche, man müsste Radler und sämtliche Mischgetränke verbieten und dürfte nur mehr Wodka verkaufen, der möglichst geschmacksneutral ist. Nikotinersatzprodukte wie Kaugummis sind aromatisiert mit bunten Erdbeerbildchen auf der Packung, ohne dass man darin ein Problem der Attraktivität für Minderjährige sieht.
Lehrer News: Was bedeutet das nun für die Praxis: Wie sollten Lehrkräfte mit rauchenden bzw. dampfenden Schülern umgehen und das Thema in der Suchtprävention behandeln?
Mayer: Ich würde als Lehrer vor dem Gebrauch von E-Zigaretten ebenso wie dem von Tabakzigaretten oder Nikotinpouches warnen. Ich würde sagen: Lasst es bleiben, es kostet nur Geld und könnte euch langfristig abhängig machen. Das sind Produkte, die man nicht braucht, und die nicht glücklich machen. Von Alkohol wird man wenigstens lustig, aber das Dampfen bringt euch absolut nichts und ist nicht einmal besonders cool. Außerdem sollten Lehrkräfte bedenken, dass für Teenager Produkte umso interessanter sind, je heftiger vor deren Gefährlichkeit gewarnt wird.
Rauchenden Jugendlichen und vor allem auch deren Eltern würde ich hingegen klar und deutlich empfehlen: Kauft den Kids ein Einsteigerset und motiviert sie, vom Rauchen auf E-Zigaretten umzusteigen. Würden die Jugendlichen langfristig weiterrauchen, hätte dies massive Schäden und vermeidbare Risiken für ihre Gesundheit zur Folge. Jeder Raucher weiß, wie schwer es ist, vom Rauchen wieder wegzukommen, viele bleiben ein Leben lang davon abhängig. Abschließend möchte ich mir ein Zitat von Gerry Stimson, emeritierter Professor des Imperial College in London, ausborgen: Es ist keine Situation denkbar, in der es besser wäre zu rauchen, als eine E-Zigarette zu benutzen.
Lehrer News: Vielen Dank für das Gespräch.