Gemeinschaftskundelehrer warnt vor wachsendem Einfluss der AfD: “Rechtsruck ist in den Schulen angekommen”

Von
Tabea Heinemann
|
26
.
May 2024
|
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Eine Person wirft einen Zettel in eine Box

Peter Müller, Gemeinschaftskundelehrer am Lößnitzgymnasium in Radebeul warnte in einem Interview mit dem MDR vor dem Rechtsruck in Schulen (Quelle: Unsplash)

Peter Müller, Gemeinschaftskundelehrer am Lößnitzgymnasium in Radebeul und Fachberater für Gemeinschaftskunde und Rechtserziehung in Sachsen, sprach kürzlich in einem Interview mit dem MDR über den Rechtsruck in den Schulen.

Müller nutzt Plattformen wie YouTube, Instagram und TikTok, um junge Menschen zu erreichen, fühlt sich jedoch oft unzureichend gegen die großen Influencer der rechten Szene gewappnet. In dem Gespräch spricht er über die Schwierigkeiten, denen sich Lehrkräfte heutzutage stellen müssen, und betont die Notwendigkeit, aktiv gegen die Angriffe und die Einflussnahme der AfD vorzugehen. Seine Bemühungen erstrecken sich über 44 Gymnasien in Sachsen, wo er die politische Bildung betreut und Schüler:innen die Bedeutung des Verfassungsschutzes näherbringt.

Für Lehrkräfte habe sich in den vergangenen Jahren viel beim Thema politische Bildung geändert, erklärt Müller. “Mittlerweile müssen wir uns direkten Angriffen und Einflussnahme durch die AfD erwehren, die versucht, Lehrkräfte zu verängstigen und einzuschüchtern”. 2018 hatte die AfD eine Plattform online gestellt, mit dem Ziel Lehrkräfte zu melden, die gegen das Neutralitätsgebot verstoßen würden. “Abgesehen davon, dass es sich hier um einen Aufruf zur Denunziation handelt, wissen wir alle sehr gut, dass Denunziation Gift für die Gesellschaft sein und Vertrauen zerstören kann. Eigentlich kennen wir es im Osten durch die Stasi”. Der Lehrer betont außerdem, dass es für Schulen kein solches Neutralitätsgebot gibt, sondern den Beutelsbacher Konsens. 

Dieser steckt die Grundsätze politischer Bildung ab. Dazu gehöre auch, dass politische Bildung nicht beeinflussen darf oder Schüler:innen zu einer bestimmten Meinung gedrängt werden dürfen. “Sie sollen im Gegenteil befähigt werden, eine eigene politische Mündigkeit zu erlangen. Dazu müssen sie in die Lage versetzt werden, ihre eigene politische Situation und Interessenlage zu analysieren”, erklärt Müller.

Außerdem verlange der Beutelsbacher Konsens, dass Schulen die Debatte einer Gesellschaft abbilden. Kontroverse Themen in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft sollen auch im Unterricht kontrovers diskutiert werden. “Ich muss nicht neutral sein, im Gegenteil. Im Sinne der Verfassung muss ich ganz klar Position beziehen, gegen Extremismus und für die politische Willensbildung im Rahmen unseres Grundgesetzes”, stellt der Lehrer klar. 

Obwohl Radebeul einen niedrigen Migrationsanteil hat und eher als die “Stadt der Millionäre” bekannt sei, spüre Müller die veränderte politische Stimmung auch in der Schule. Bisher hatte diese eher einen linksliberalen Schwerpunkt. Müller erklärt, dass er drei neunte Klassen betreut, die er in seinem Unterricht symbolisch zum politischen System Deutschlands mit seinen Parteien und der Verfassung wählen lässt – einmal vor und einmal nach dem Unterricht. Dadurch ließe sich eine Veränderung im Wahlverhalten leicht rekonstruieren. In der letzten Wahl hätten 30 Prozent der Schüler:innen AfD gewählt – das sei neu. Hatte man die Anhänger der Partei bisher eher im ländlichen Raum vermutet, so könne man jetzt sagen: “Der Rechtsruck ist in den Schulen und im urbanen Raum angekommen”. Müller erzählt weiter, dass sich Schüler:innen auch schon offen zur AfD bekannt haben. Das hätte es früher nicht gegeben. 

Eine eindeutige Erklärung dafür habe Müller nicht. Er vermute rechte Positionen zu Hause oder die sehr konservative Haltung des Stadtrates könnten abfärben. Auch die Influencern der Neuen Rechten im Netz und der Social-Media-Konsum seien mögliche Faktoren. Ihre klare und kantige Sprache würde die Schüler:innen erreichen. Bundeskanzler Olaf Scholz dagegen drücke sich oft “politisch geschliffen” aus und sei “schwer greifbar”. Dagegen sei “die Versuchung der vermeintlichen Klarheit, die noch weiter bei Social Media zugespitzt wird”, enorm.

Das “Angriffsmedium” Social Media hält Müller für sehr gefährlich. “In Social Media werden permanent populistische Angriffe gefahren, die auf den ersten Blick plausibel sind – aber es wird keine einzige Lösung präsentiert”. Auf TikTok sei die AfD beispielsweise um Längen erfolgreicher als die CDU oder SPD, geschweige denn als der Lehrer. “Gegen Influencer der Neuen Rechten habe ich wenig Chancen”.

Für Müller sei es wichtig seinen Schüler:innen beizubringen, dass Politik nicht schwarz oder weiß ist. Auch die Regelung, dass Gemeinschaftskunde von der siebenten bis zur zehnten Klasse Pflichtfach ist, hält er für einen wichtigen Schritt. “Wenn wir diese sechs Jahre haben, können wir sehr viel erreichen. Dann können wir zeigen, warum unsere Verfassung und der Diskurs darin so wertvoll sind – und, dass es durchaus Lösungen gibt, die menschlich sind und unsere Grundrechte wahren”.

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