Personelle Misere – Schulbarometer bestätigt gravierende Lage an deutschen Schulen

Von
Armend Kokollari
|
9
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February 2023
|
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Stuttgart. Drei zentrale Herausforderungen sind momentan an den Schulen in Deutschland zu bewältigen: Fachkräftemangel, Lernrückstände und Aufnahmekapazitäten. Das sind zumindest die Ergebnisse des kürzlich veröffentlichten Deutschen Schulbarometers der Robert Bosch Stiftung, die wir euch in diesem Artikel vorstellen.

Die aktuelle repräsentative Stichprobe hat das Meinungsforschungsinstitut "forsa" im November vorgenommen, und zwar erstmals ausschließlich unter Schulleitungen. Insgesamt nahmen 1055 Schulleiterinnen und -leiter an der Umfrage teil. Das Ergebnis: Für zwei Drittel der Schulleiter:innen ist das fehlende pädagogische Personal die größte Herausforderung. An sozial benachteiligten Schulen sagen dies sogar 80 Prozent. 

Erst weit abgeschlagen folgen die oft angeprangerte Digitalisierung (22 Prozent), die hohe Bürokratisierung im Schulwesen (21 Prozent) und die hohe eigene Arbeitsbelastung (20 Prozent). Das Coronavirus und die damit einhergehenden Maßnahmen spielen nur noch eine untergeordnete Rolle (9 Prozent). Im Deutschen Schulbarometer aus dem April 2022 war die Corona-Pandemie noch als drängendste Aufgabe wahrgenommen worden.

Vier von Fünf Schulleitungen sagen, dass sie ihren Schülerinnen und Schülern keine angemessene Unterstützung beim Lernen bieten können. Das verdeutlicht sich bei den Lernrückständen: Mehr als ein Drittel haben den Angaben zufolge aktuell deutliche Lernrückstände. An Schulen in sozial schwieriger Lage wird die Quote sogar auf fast zwei Drittel beziffert. Dementsprechend bezeichnet lediglich ein Drittel die Corona-Aufholprogramme als wirkungsvoll. Während an Gymnasien das Urteil am positivsten ausfällt (42 Prozent), entfalten die Programme an sozial benachteiligten Standorten den geringsten Effekt (23 Prozent). Einer großen Mehrheit der Schulleitungen (70 Prozent) gehen die zwei Milliarden Euro schwere Unterstützung nicht weit genug – Sie wünschen sich dringend weitere Fördermittel. Schon jetzt zeigt sich, wie wichtig eine langfristige Förderung ist, die den Beteiligten in den Schulen und Verwaltungen Planungssicherheit garantiert", fordert die Bildungsexpertin der Robert Bosch Stiftung, Dr. Dagmar Wolf. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die damit einhergehenden Fluchtbewegungen wirken  ebenfalls auf Deutschlands Schulen ein. So kamen seit März 2022 aus der Ukraine in etwa so viele Schülerinnen und Schüler wie aus sämtlichen Ländern zusammen, schätzen die Schulleitungen. Rund die Hälfte der Schulen sieht derzeit keine Kapazitäten mehr für die Aufnahme weiterer Schüler:innen. Für die vielen Kinder und Jugendlichen, die aus dem Ausland an eine Schule in Deutschland wechseln, ist besonders eine Förderung der Deutschkenntnisse wichtig. Einer adäquaten Sprachförderung können derzeit jedoch nur weniger als die Hälfte der Schulen nachkommen. Dramatisch sei die Lage an den Grundschulen: 71 Prozent können keine ausreichende Sprachförderung sicherstellen, zeigen die Daten des Deutschen Schulbarometers. Thilo Engelhardt, Schulleiter der Waldparkschule Heidelberg und Preisträger des Deutschen Schulpreises 2017, sieht auch hier das Kapazitätsproblem als entscheidend an: "Momentan werden die Sprachförderangebote als Erstes gestrichen, wenn wir eine Krankheitswelle haben, damit dann eben die Regelklassen nicht unversorgt bleiben".

Der Personalmangel überdecke alles und sei auch in absehbarer Zeit nicht zu beheben, sagt Falk Radisch, Professor für Schulpädagogik an der Universität Rostock. Dafür gebe es auch Hinweise aus der Wissenschaft. „Für den Lehrkräftemangel gibt es keine schnelle und vor allem keine einfache Lösung“, bekräftigt auch Bosch-Expertin Wolf. Weniger bürokratischer Aufwand könnte die aktuelle Personalnot an den Schulen aber zumindest lindern, indem beispielsweise die Anstellung von Unterstützungsfachkräften in der Verwaltung, von pädagogischen Assistenzkräften oder ausländischen Lehrkräften erleichtert wird. Lehrerverbands-Chef Heinz-Peter Meidinger sieht drei wesentliche Ursachen für die pädagogische Misere. Erstens habe die Politik zu spät auf den seit zwölf Jahren anhaltenden Geburtenanstieg reagiert. Zweitens habe man zugelassen, dass in den letzten 20 bis 30 Jahren massiv Lehramtsstudienplätze abgebaut worden seien. "Und drittens: Es gab Flüchtlingsbewegungen. Wie jetzt aus der Ukraine mit 200.000 Kindern innerhalb eines Jahres zusätzlich. Darauf waren die Schulen nicht vorbereitet”.

"Wir gehen in eine Zeit, in der die Babyboomer-Generation kurz vor dem Ruhestand ist. Das wird die Situation dramatisch verschärfen", so Wolf. Ihrer Einschätzung nach "werden wir bis zum Jahr 2030 mehr als 80.000 vakante Stellen im Lehrberuf haben". Zusätzlich fehlten Schulsozialarbeiter, Schulpsychologen und Schulbegleiter, um die Inklusion voranzutreiben. Der Notstand an deutschen Schulen wird demnach künftig neben dem Personalmangel in weitere essenzielle Schulbereiche wie Lernstand, Aufnahmekapazitäten und Sprachförderung vordringen, die allesamt unmittelbar mit dem Lehrermangel zusammenhängen.

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