(Quelle: Envato)
Nachdem wir uns vor kurzem das französische Bildungssystem etwas näher angeschaut haben, machen wir uns gemeinsam auf eine Reise in ein Land, das den meisten vermutlich für Köttbullar, Saunen und atemberaubende Natur bekannt ist: Schweden. Neben den kulturellen und landschaftlichen Unterschieden zu Deutschland bietet das Land ein Schulsystem, welches weit von dem uns bekannten abweicht. Doch kann das schwedische Bildungssystem für uns in Deutschland als Vorbild gelten? In diesem Artikel sind wir bereits auf die Unterschiede zwischen dem deutschen und dem allgemeinen skandinavischen Schulsystem eingegangen. Hier möchten wir uns nun einmal explizit mit dem schwedischen System befassen.
Obwohl Deutschland und Schweden vergleichbare Ergebnisse bei der aktuellen Pisa-Studie von 2018 erzielt haben, gibt es doch erstaunlich große Abweichungen der Systeme, die unter anderem eine neunjährige Grundschulzeit bis hin zu individualisierten Lehrplänen für Schüler:innen enthalten. Doch der Reihe nach…
Grundlegend besteht in Schweden Schulpflicht bis zum 16. Lebensjahr, wohingegen die Schulpflicht in Deutschland generell bis zum 18. Lebensjahr besteht. Die Grundlage für das schwedische Bildungssystem legt das Schulgesetz (“Skollagen” genannt).
Der Weg eines Kindes im Bildungswesen in Schweden startet in der Regel im 4. oder 5. Lebensjahr. In diesem Alter beginnt für die Kinder meist der Besuch einer Vorschule (förskoleverksamhet). Etwa 95 Prozent aller Sechsjährigen besuchen in Schweden die Vorschule, die die Entwicklung und das Lernverhalten der Schüler:innen unterstützen und auf die Grundschule vorbereiten soll. An vielen schwedischen Schulen sind die Vorschulen und die Grundschulen bereits in denselben Gebäudekomplexen untergebracht, um den Austausch zwischen den Schüler:innen zu verbessern und Hemmungen abzubauen. Die Vorschulen in Schweden sind kostenfrei und müssen ein Mindestmaß von 525 Stunden jährlich gewährleisten.
Der darauf folgende Besuch der Grundschule beginnt für die meisten Kinder im Alter von sieben Jahren. Im Großteil der Grundschulen erhalten die Schüler:innen ab der 6. Klasse Noten und beginnen überwiegend auch dann mit dem Englischunterricht. Im Gegensatz zum deutschen Schulsystem werden die Noten nicht von eins bis sechs, sondern von A bis F vergeben. Die Grundschule in Schweden dauert neun Jahre, diese wiederum sind unterteilt in drei Abschnitte: Die Grundschule (lågstadiet) in den ersten drei Jahren, die Mittelschule (mellanstadiet) in den Jahren vier bis sechs und die Realschule (högstadiet) in den Jahren sieben bis neun. Nach jeder dieser Etappen werden landeseinheitliche Klausuren (nationella prov) geschrieben, die abfragen sollen, ob die Schüler:innen die Mindestanforderungen des Lehrplans erfüllen. Nach neun Jahren endet die Grundschule in Schweden ohne eine Abschlussprüfung.
Anschließend haben die Schüler:innen die Möglichkeit freiwillig, da die Schulpflicht bereits abgeschlossen ist, weitere drei Jahre ein Gymnasium zu besuchen. Hier gibt es große Abweichungen zu den deutschen Gymnasien, wie wir sie kennen. Die Schüler:innen haben die Möglichkeit, aus insgesamt 17 verschiedenen Ausbildungsprogrammen zu wählen. 14 davon sind berufsbildend, zwei studienvorbereitend und eine stellt eine Mischform aus beiden Varianten dar. Einzelne Kernfachkurse (kärnämneskurser) müssen jedoch von allen Schüler:innen gleichermaßen absolviert werden, dazu zählen etwa Schwedisch und Mathematik. Um das Gymnasium zu bestehen, müssen hier 2500 Punkte gesammelt werden. Diese Punkte können durch die Absolvierung verschiedener Kurse verdient werden und müssen zu mindestens 90 Prozent mit einer Note E (also etwa einer Vier im deutschen Schulsystem) oder besser absolviert werden. Im Anschluss an das Gymnasium ist genau wie bei uns der Weg frei für ein Studium an einer Hochschule oder einer Universität.
Unterschiede zwischen dem schwedischen und Deutschlands Schulsystem stechen besonders bei der Rolle von Noten hervor: Durch die Benotung, welche in Deutschland bereits ab der zweiten und in Schweden erst ab der sechsten Klasse beginnt, kann Leistungsdruck entstehen. Vor allem in jungen Jahren können die Schülerinnen und Schüler dadurch ein falsches Bild vom Lernen erhalten. Die Gefahr besteht, dass die Schüler:innen in Deutschland nur für die Noten, nicht aber für das Aneignen von Wissen lernen. Durch die lange Grundschulzeit werden die Schüler:innen später von ihren gewohnten sozialen Kontakten getrennt und haben mehr Zeit zur Orientierung. Des Weiteren werden die schwedischen Schulen kommunal organisiert, wodurch die einzelnen Bildungsstätten erheblich flexibler in der Planung des Unterrichts sind. Auf der anderen Seite hat das jedoch auch zur Folge, dass die Qualität der Lehre und die Bezahlung der Lehrkräfte je nach Kommune stark variieren kann.
Ein weiterer zentraler Unterschied besteht im Lehrer-Schüler-Verhältnis. In Schweden ist es die Regel, dass alle Schüler:innen bis zur sechsten Klasse und oft auch darüber hinaus für jedes Jahr einen individuellen Lehrplan von einer Lehrkraft erstellt bekommen. Dieser dient ähnlich zum deutschen Zeugnis als Vermerk für Verhaltensmuster, Engagement, etc. darüber hinaus jedoch auch, was für den Lernerfolg des Schülers oder der Schülerin seitens der Lehrer:innen, der Eltern und auch des Kindes selbst getan werden muss, um gemeinsam festgelegte Ziele zu erreichen. Dazu kommen die halbjährlich geführten Gespräche zwischen Eltern, Lehrkräften und Schüler:innen, die zur Reflexion dienen sollen.
Weiterhin wird der Unterricht weit öfter interaktiv mit Gruppen- und Projektarbeiten gestaltet, während Frontalunterricht erheblich seltener zum Einsatz kommt. Dadurch, dass sowohl an den Grundschulen als auch an den Gymnasien Ganztagsunterricht die Regel ist, erhalten die Schüler:innen ebenfalls weit weniger Hausaufgaben als in Deutschland.
Fassen wir zusammen: Insbesondere die lange Grundschulzeit, die späte Benotung und die individualisierten Lehrpläne der Schüler, sowie die Einbindung der Eltern und die hohe Eigenverantwortlichkeit, die den Schüler:innen zugesprochen wird, zeichnen das schwedische System aus. Schweden und Deutschland erzielten in der aktuellen Pisa-Studie ähnliche Ergebnisse, trotzdem können einige der Eigenheiten des schwedischen Schulsystems als Vorbild angesehen und über eine Implementierung in den deutschen Schulalltag nachgedacht werden.
Was haltet ihr von dem schwedischen Schulsystem? Welche Aspekte davon würdet ihr gerne in das deutsche System übernehmen? Schreibt uns eure Meinung gerne in die Kommentare!