Hier gibt es nichts zu sehen: Die Räumung eines propalästinensischen Protestcamps auf dem Campus der FU Berlin stieß auf ein widersprüchliches Echo (Quelle: Commons)
Berlin. In einem offenen Brief haben mehr als 300 Professoren und Dozenten mehrerer Berliner Hochschulen die Räumung eines propalästinensischen Protestcamps auf dem Campus der Freien Universität Berlin kritisiert. Das Camp wurde am Dienstag nach wenigen Stunden durch die Polizei geräumt, nachdem die Universitätsleitung die Räumung angeordnet hatte.
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger macht die Kritik an der Räumung “fassungslos”. “Statt sich klar gegen Israel- und Judenhass zu stellen, werden Uni-Besetzer zu Opfern gemacht und Gewalt verharmlost”, sagte die FDP-Politikerin der “Bild”-Zeitung.
In dem Statement schreiben die Unterstützer: “Unabhängig davon, ob wir mit den konkreten Forderungen des Protestcamps einverstanden sind, stellen wir uns vor unsere Studierenden und verteidigen ihr Recht auf friedlichen Protest, das auch die Besetzung von Uni-Gelände einschließt.” Und weiter: “Angesichts der angekündigten Bombardierung Rafahs und der Verschärfung der humanitären Krise in Gaza sollte die Dringlichkeit des Anliegens der Protestierenden auch für jene nachvollziehbar sein, die nicht alle konkreten Forderungen teilen oder die gewählte Aktionsform für nicht geeignet halten.”
In dem offenen Brief fordern die Unterzeichner die Unileitung dazu auf, “von Polizeieinsätzen gegen ihre eigenen Studierenden ebenso wie von weiterer strafrechtlicher Verfolgung abzusehen”. “Der Dialog mit den Studierenden und der Schutz der Hochschulen als Räume der kritischen Öffentlichkeit sollte oberste Priorität haben - beides ist mit Polizeieinsätzen auf dem Campus unvereinbar. Nur durch Auseinandersetzung und Debatte werden wir als Lehrende und Universitäten unserem Auftrag gerecht”, so das Statement.
Mehrere prominente Wissenschaftler haben den offenen Brief unterzeichnet, darunter die Philosophen Rahel Jaeggi, Eva von Redecker und Robin Celikates, der Historiker Michael Wildt, die Soziologinnen Naika Foroutan und Sabine Hark und der Jurist Maximilian Steinbeis.
“Schock-Brief: Uni-Profs stellen sich hinter Judenhasser-Mob”, titelte anschließend die Bild-Zeitung. Dass es sich bei den Unterstützern der Proteste um Lehrende handele, sei “eine neue Qualität”, erklärte Stark-Watzinger. Gerade sie müssten “auf dem Boden des Grundgesetzes stehen”. Auch Berlins regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) erklärte, er habe “überhaupt kein Verständnis” für die Verfasser des Briefs. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, erklärte gegenüber “Bild”, die Protestierenden würden von “Hass auf Israel und Juden” angetrieben. “Gerade von Hochschuldozenten hätte ich erwartet, dass dies zumindest klar benannt wird, wenn sich schon für diese Form des Protestes eingesetzt wird”, so Schuster.
Für ihre pauschale Verurteilung der Solidarität mit den Protestierenden erntete Stark-Watzinger Kritik aus der wissenschaftlichen Community. “Es widerspricht ihrer Rolle als Bundesbildungsministerin, die Verfassungstreue Hochschullehrender so pauschal anzuzweifeln”, kritisierte etwa Ralf Michaels, Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg auf X.
“Dass man zugleich die Positionen der Studierenden ablehnen und ihr Recht auf Protest verteidigen kann, möchte man einer liberalen Bundesbildungsministerin eigentlich nicht erklären müssen”, äußerte die SPD-Bundestagsabgeordnete Isabel Cademartori auf X. Der Linken-Politiker und Jurist Niema Mossavat forderte Stark-Watzinger sogar zum Rücktritt auf.
Der Spielraum für freie Meinungsäußerung und die akademische Freiheit mit Blick auf Israel und den Gaza-Krieg gehe immer weiter zurück, sagte der Botschafter der Palästinensischen Autonomiebehörde in Deutschland, Laith Arafeh, in Bezug auf den Umgang mit dem Protestcamp. “Wir verurteilen alle Formen von Fanatismus einschließlich Antisemitismus”, so der Botschafter. “Genauso verurteilen wir den systematischen Einsatz falscher Antisemitismus-Vorwürfe gegen alle Stimmen, die ein Ende des Krieges fordern.”
Er beziehe keine Position zu den Studentenprotesten, weil das eine Einmischung in innere Angelegenheiten wäre, sagte der Diplomat. “Aber ich unterstütze jedermanns Recht auf freie Äußerung, jedermanns Meinungsfreiheit, überall, jederzeit. Dieses allgemeine Menschenrecht sollte von allen geschützt werden, und jeder ist in der Pflicht zu handeln, wenn es verletzt wird”.