Weihnachten steht vor der Tür und mit den Festtagen werden vor allem Werte wie Familie, Besinnlichkeit und Zusammengehörigkeit propagiert. Anlässlich der bevorstehenden Feierlichkeiten möchten wir den Blick auf Weihnachten und die dahinterstehenden Menschen werfen, die sonst im Weihnachtsfieber oftmals zu kurz kommen. Wir schauen auf Menschen, die nicht christlich geprägt sind und Kinder und Jugendliche, die in Kinder- und Jugendheimen beziehungsweise betreuten Wohnanlagen aufwachsen. Dabei stellen wir uns die Frage, wie interkulturell und inklusiv das Weihnachtsfest eigentlich wahrgenommen wird und suchen Antworten darauf, was Familie im Kern eigentlich ausmacht und wie stark das Gefühl der sozialen Teilhabe ist.
Auf statista wurde Ende November diesen Jahres eine Statistik über die Anzahl der Christ:innen in Deutschland veröffentlicht. Demnach lebten im Jahr 2021 insgesamt rund 45 Millionen Christ:innen in Deutschland. Das macht auf die Gesamtbevölkerung verteilt, etwas mehr als die Hälfte aller in Deutschland lebenden Menschen aus. Was im Umkehrschluss wiederum bedeutet, dass – zumindest rein statistisch betrachtet – etwas weniger als die Hälfte der in Deutschland lebenden Menschen keiner christlichen Religion angehören. Schaut man sich nun die Entwicklungen der Kirchenaustritte im Jahr 2021 an, so kommen die Evangelische und Katholische Kirche zusammen auf etwa 640.000 Kirchenaustritte und damit einen neuen Rekordwert. Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte sind im Zuge der Industrialisierung, der Globalisierung und durch Kriege und Verfolgung, Menschen aus den verschiedensten Kulturkreisen und unterschiedlicher Konfessionen nach Deutschland emigriert. Durch diesen interkulturellen Austausch, der neben Schulen auf der Arbeit, in den Medien und der Politik tagtäglich stattfindet, erweitern wir unseren Horizont hinsichtlich weiterer religiöser Feste. Dazu zählen unter anderem das Eid al-Adha beziehungsweise Opferfest bei den Muslim:innen oder das derzeit und bis zum Abend des 26. Dezembers stattfindende Chanukka oder Lichterfest der Jüd:innen.
In einer Tagung der Universität Tübingen wird aufgezeigt, wie “Weihnachten in der multikulturellen Stadt” im Spannungsfeld zwischen Integration und Abgrenzung steht. Dabei erscheint ein Aspekt besonders wichtig: “Weihnachten ist zwar ein christliches Fest. Aber es ist auch ein kulturell geprägtes Fest. Man könnte die Behauptung aufstellen: “Weihnachten ist eher ein kulturelles Fest als ein religiöses", so Kulturwissenschaftlerin Monique Scheer. Einerseits besteht Weihnachten aus religiösen Elementen, die für Nichtchrist:innen ungewohnt sein können. Dennoch zeichnet sich Weihnachten daneben durch eine Fülle von weltlichen Traditionen und Bräuchen aus. Man denke an Weihnachtsmärkte, Weihnachtsgebäck, Weihnachtsfeiern an Schulen oder im Betrieb, Weihnachtsmusik im Radio, im Fernsehen und im öffentlichen Raum. Diese Traditionen sind auch ein Angebot an Nichtchrist:innen, im Weihnachtsbetrieb mitzumachen, ohne die eigene Religion aufs Spiel zu setzen. Durch die Partizipation am Weihnachtsfest, fänden schließlich viele Nichtchrist:innen etwa Zugang zur christlich dominierten Gesellschaft, die sonst über das Jahr gesehen wenige solcher unmittelbaren Festlichkeiten bietet. Das Zusammenkommen und der Gemeinschaftssinn stehen an kaum einem Feiertag so sehr im Vordergrund, wie zur Weihnachtszeit. Es lässt sich festhalten, dass gelebte Vielfalt und Toleranz nicht nur qua Gesetz auch die religiöse Vielfalt miteinschließt. Es lässt sich also beobachten, dass Weihnachten zusätzliche Integrationsmaßnahmen bietet. Menschen die nicht christlich geprägt sind, erhalten durch den eher weltlichen Charakter der Weihnachten durch Traditionen, Bräuche und Gemeinschaft beigemessen wird weitere Möglichkeiten, um einerseits von der Gesellschaft in die kulturellen Festlichkeiten eingebunden zu werden und lernen somit die regionalen Unterschiede kennen. Eigene kulturelle Bräuche können dann wiederum geteilt werden und somit das Gesamtverständnis zu Feiertagen in anderen Religionen, wie beispielsweise das bereits genannte Chanukka der Jüd:innen verstärkt werden. Durch diese Wechselwirkung können Vorurteile durch den direkten Austausch auf beiden Seiten abgebaut werden, indem das interkulturelle Miteinander im Vordergrund steht.
Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die in Kinder- und Jugendheimen oder betreuten Wohngruppen aufwachsen, nimmt seit Jahren stetig zu. Allein im Betrachtungszeitraum von 2008 bis Ende 2016 stieg die Zahl von gut 58.700 auf 95.582 Kinder und Jugendliche. Kinder landen heute schneller im Kinder- und Jugendheim als noch vor einem Jahrzehnt, sagt Michael Böwer, Professor für Soziale Arbeit an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen. Es gibt vielfältige Gründe, warum die Kinder und Jugendlichen dort leben. Manche werden durch das Jugendamt aus den Familien genommen, teils sind Eltern schlichtweg überfordert, und einige Jugendliche bitten sogar selbst darum, aus den Familien genommen zu werden. Für sie sind die Erinnerungen an Feste, die im Zeichen der Familie stehen, oftmals belastend. Kinder- und Jugendheime schaffen hier die Möglichkeit, diese Erinnerungen in ein positives kollektives Erlebnis zu lenken und das Zugehörigkeitsgefühl innerhalb der Gruppe zu stärken – eine Gruppe, in der viele ähnliche Schicksale zusammenkommen. Jana, die mit sieben Jahren in das Kinderheim der Initiative für Intensivpädagogik kam, wurde damals von der Geschäftsführerin Renate Harms-Tapken betreut. Heute lebt sie in einer eigenen Wohnung, wird jedoch weiterhin von den Pädagog:innen des Kinder- und Jugendheimes betreut. Sie erinnert sich gerne an die Weihnachtsfeste zurück: “Es ist zwar manchmal auch anstrengend, wenn einige Kinder oder Jugendliche nicht das richtige Geschenk bekommen, aber irgendwie immer schön. Für mich ist das hier mein Elternhaus”. In gemeinsamen Aktivitäten werden Weihnachtsbäume geschmückt, bei großzügigem Buffet gespeist und selbst die Bescherung kommt hier nicht zu kurz. Im Vorfeld können sich die Kinder und Jugendlichen nämlich Geschenke im Wert von 50 Euro wünschen. Hinzu kommen Spenden, die manchmal sogar zusätzliche Geschenke ermöglichen. Joanna habe sich vor einigen Jahren selbst beim Jugendamt gemeldet. Zu oft kam es zu Streitigkeiten mit ihren Eltern, wodurch sie es Zuhause nicht mehr aushielt. Für sie ist das schönste am Weihnachtsabend und der größte Unterschied zur früheren Weihnacht, das Essen. Sie lobt das Buffet und die Gemeinschaft, die durch das gemeinsame Essen entsteht.
Christiane Heinen von der Kinder- und Jugendlichenhilfe St. Josef der Caritas Köln sagt, dass auch für Kinder in Kinderheimen Weihnachten Familie, Geschenke und Besinnlichkeit bedeuten kann. In der Einrichtung fangen die Rituale, wie gewöhnlich, schon in der Adventszeit an. Den Kindern wird ein Adventskalender überreicht, den sie am Abend aufmachen dürfen und je nach Gruppe, vorher eine Geschichte vorgelesen wird. Neben dem rituellen Teil sollen den Kindern in der Weihnachtszeit soziale Aspekte näher gebracht werden. So packen die Kinder beispielsweise Tüten für Wohnungslose – und bekommen dadurch neben festlichen Riten auch Werte vermittelt. Mit dem Schwerpunkt auf Riten und Wohltaten, habe die abendliche, besinnliche Zeit mit Kerzen, Weihnachtsliedern und Geschichten etwas, was die Gemeinschaft enorm fördere. Bei den gemeinsamen Bescherungen lernen die Kinder und Jugendlichen nicht nur selbst, beschenkt zu werden – sie machen auch anderen Freude. Im Strausberger Kinder- und Jugendheim der AWO, überreichen Elias und Jenny eine Geschenktüte mit Fotos von Ausflügen des Jahres und einigen Fanartikeln von Hertha BSC an Ute Daum. Die Betreuerin ist merklich gerührt von dieser Geste und dem Einsatz, den sie mitbringen. “Ich bin stolz, dass sie sich merken, was ich mag, und sich überlegen, was sie mit ihrem begrenzten Taschengeld machen können", berichtet Ute Daum, und gibt den beiden eine Umarmung. Es sind Momente wie diese, die einen demütig werden lassen und aufzeigen, wie erfolgreich die soziale Teilhabe von Kindern und Jugendlichen in diesem Umfeld sein kann. Neben Dankbarkeit und Gemeinschaft sind es Riten und Werte, wie Nächstenliebe und Solidarität, durch die sich eine besinnliche Weihnachtszeit auszeichnet – und diesem Gefühl des gesellschaftlichen Miteinanders werden Kinder- und Jugendheime wie auch betreute Wohngruppen gerecht.
Um das Weihnachtsfest in diesem Jahr mit der richtigen Festtagsstimmung einzuläuten, haben wir euch hier eine Auswahl der schönsten Weihnachtsfilme verlinkt. Die schönsten Weihnachtsklassiker sorgen für die richtige musikalische Untermalung in der Vorweihnachtszeit und am Tag der Bescherung. Außerdem finden die Neugierigen unter Euch hier eine Zusammenstellung verschiedener Weihnachtsbräuche rund um den Globus.