Nach Angaben des Bundesamts für Umwelt hat etwa ein Prozent der weltweiten Bevölkerung Autismus. Das mag im ersten Moment wenig klingen, bedenken wir jedoch, dass es im Schuljahr 2022/2023 bundesweit etwa 11,1 Millionen Schüler:innen gibt, können wir alleine in Deutschland von ungefähr 100.000 zu beschulenden Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung ausgehen. Deshalb ist es unabdingbar, dass Lehrkräfte nötige Handlungshinweise erhalten, die Schüler:innen mit Autismus (der zeitgemäße und medizinisch korrekte Term lautet Autismus-Spektrum-Störung, kurz: ASS), ihnen selbst und allen anderen Schüler:innen den Schulalltag erleichtern. Zwar gibt es während des Lehramtsstudiums Module, die etwa die Grundfragen der Sonderpädagogik lehren, jedoch gestaltet es sich oftmals schwierig dieses theoretische Wissen gelungen in den Schulunterricht zu übertragen und einen passenden Umgang mit Schüler:innen mit einer ASS zu implementieren. Anlässlich des gestrigen Welt-Autismus-Tags haben wir für euch fünf praxisnahe Hinweise zusammengetragen, die den Umgang mit der Autismus-Spektrum-Störung möglichst erleichtern.
Wenn ihr erfahren habt, dass ihr eine:n Schüler:in mit einer ASS unterrichten werdet, ist es von großem Vorteil, ein Treffen mit dem Kind und einem Elternteil, möglichst in der Schule, zu vereinbaren. So kann das Kind nicht nur euch, sondern auch das Schulgebäude und die Klassenräume kennenlernen und somit langsam ein gewisses Vertrauen zu der Umgebung aufbauen und wird am ersten Schultag nicht mit einer schweren Reizüberflutung belastet. Ebenfalls könnt ihr so ein Kommunikationssystem mit den Eltern aufbauen, die individuellen Bedürfnisse und Eigenschaften des Kindes erfahren und nach persönlichen Tipps der Eltern fragen. In Absprache mit den Eltern und falls es überhaupt erforderlich ist, könnt ihr euch dafür stark machen, dass das Kind eine:n Schulbegleiter:in bekommt, damit ihr im Unterricht entlastet werdet. Zuletzt solltet ihr euch darüber erkundigen, ob es seitens des Kindes und der Eltern erwünscht ist, der Klasse mitzuteilen, dass eine Autismus-Spektrum-Störung vorliegt.
Wenn in Absprache mit den Beteiligten eine Aufklärung zum Thema ASS innerhalb der Klasse erwünscht ist, wäre es hilfreich, eine fachkundige Person (Schulpsychologe) zur Rate zu ziehen, die sachlich und leicht verständlich über die ASS aufklären kann. In diesem Zusammenhang sind auch Rollenspiele möglich, da sie den Perspektivwechsel trainieren und bei Kindern oftmals mehr Einklang finden. Ziel des Gesprächs sollte also sein, Verständnis für die ASS zu schaffen. Denn ohne Verständnis funktionieren weder Sensibilisierung noch Bereitschaft zu helfen. Während des Klassengespräches solltet ihr stets darauf achten, dass sich das Kind mit der Autismus-Spektrum-Störung nicht bedrängt und unwohl fühlt.
Die Geräuschkulisse in einem herkömmlichen Klassenzimmer kann Schüler:innen mit einer ASS teilweise zu stark in Anspruch nehmen. Sollte eure Schule über ausreichend Räumlichkeiten verfügen, kommt die Bereitstellung eines Ruheraums vielen Kindern mit einer ASS entgegen. Sie können sich hier, falls nötig, in den Pausen vom unterrichtlichen Trubel erholen oder gegebenenfalls in Ruhe und ohne Ablenkung arbeiten. Falls Eure Schule diese zusätzlichen Kapazitäten nicht besitzt, ist es alternativ auch möglich, einen kleinen Bereich im Klassenzimmer abzugrenzen, damit zumindest visuelle Reize entfallen. Allgemein sollte ein separater Raum möglichst reizarm sein.
Besonders anfangs ist es sehr gut für das Wohl des Kindes, wenn der Unterricht einen bestimmten, immer wiederkehrenden Ablauf hat, sodass Schüler:innen mit einer ASS sich nicht zusätzlich auf eine neue Unterrichtsform konzentrieren müssen, sondern all ihr Konzentrationsvermögen dem Unterrichtsinhalt widmen können. Damit der Unterricht für alle anderen Schüler:innen aber nicht langweilig und redundant wird, könnt ihr Schüler:innen mit einer ASS im Vorhinein visualisierte Unterrichtspläne zur Verfügung stellen, damit sie sich entsprechend vorbereiten können. Wichtige Informationen sollten generell verbal und visuell und entscheidende Veränderungen immer mit einer gewissen Vorlaufzeit kommuniziert werden. Insbesondere Ironie und Sprichwörter sollten dann vermieden werden.
Ein praktisches Hilfsmittel für den Unterricht sind Signalkarten. Die könnt ihr verwenden, um die Konzentration der Schüler:innen auf belangreiche Themen zu lenken. Das ist bei Kindern mit einer ASS oftmals förderlich, da es ihnen schwer fallen kann, die Relevanz bestimmter Informationen abzuwägen. Ihr könnt Signalkarten also nutzen, um auf bestimmte Unterrichtsmaterialien aufmerksam zu machen, eine Pause anzukünden oder zum Beispiel um Ruhe zu bitten. Gleichzeitig sind Signalkarten auch für die Kinder hilfreich, um auf nonverbale Art zu kommunizieren. Beispielsweise können sie so nach Hilfe fragen oder zum Ausdruck bringen, dass sie etwas zum Unterricht beitragen können.
Bei aller angebrachter Fürsorge solltet ihr aber darauf achten, dass der Schonraum des Kindes ein gewisses Maß nicht überschreitet. Der Kontakt zu Mitschüler: innen darf – wie bei jedem anderen Kind auch – nicht vernachlässigt werden und auch für Kinder mit einer ASS ist es wichtig, die eigene Komfortzone auszutesten und zu erweitern. Natürlich dürfen die anderen Schüler:innen der Klasse auch nicht unter den möglichen Unterrichtsanpassungen leiden, genauso wenig wie ihr selbst! Zusätzliche Hilfe, Beratung oder Expertise an Bord zu holen, hat häufig einen helfenden und entlastenden Effekt und ist jederzeit möglich, schreckt davor also nicht zurück.
Wenn ihr noch mehr über die Autismus-Spektrum-Störung wissen wollt, findet ihr hier einen weiteren Artikel von uns dazu.
Habt ihr bereits Erfahrungen mit der Autismus-Spektrum-Störung in der Schule gesammelt? Schreibt uns doch gerne dazu einen Kommentar!