Bilanz 2023: Lehrkräftemangel, Chancengleichheit und KI an deutschen Schulen

Von
Carolin Kunkel
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29
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December 2023
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Das Jahr 2023 war ein ereignisreiches in der Bildungspolitik. (Quelle: Envato)

Das ereignisreiche Jahr 2023 geht zu Ende. Neben multiplen globalen Katastrophen, deren Auswirkungen bis in die Klassenzimmer der Bundesrepublik spürbar waren, macht sich auch eine weitere Krise in unserem Land bemerkbar — eine, die die Klassenzimmer unmittelbar betrifft: die Bildungskrise. Im Folgenden möchten wir die bildungspolitischen Ereignisse und Entwicklungen in einem Jahresrückblick noch einmal zusammenfassen.

Alarmierende Ergebnisse in Bildungsstudien: IQB, IGLU und Pisa

Gleich drei aktuelle Schulleistungsstudien, die sich auf verschiedene Altersgruppen und Kompetenzbereiche konzentrieren, zeichnen dieses Jahr ein besorgniserregendes Bild: Etwa 25 bis 30 Prozent der Schüler:innen in Deutschland erreichen nicht die Mindeststandards in Fächern wie Deutsch und Mathematik. Die Pisa-Studie 2022 zeigt besonders in Mathematik die schlechtesten Ergebnisse seit Beginn der Untersuchungen, mit einem Anstieg des Anteils der Leistungsschwachen im Vergleich zur letzten Studie und einem deutlichen internationalen Leistungsabfall. Die neuesten Ergebnisse des IQB-Bildungstrends 2022 bestätigen einen Kompetenzrückgang im Fach Deutsch, insbesondere beim Lese- und Hörverständnis sowie in der Rechtschreibung. Nicht zuletzt verdeutlichte die IGLU-Studie, dass deutsche Kinder im Vergleich zu anderen EU-Ländern unzureichend auf den Schulstart vorbereitet sind, mit unterdurchschnittlichen Lese- und Schreibkompetenzen. Als mögliche Ursachen werden die Schulschließungen während der Pandemie genannt und die starken sozioökonomischen Unterschiede. Die verheerenden Ergebnisse unterstreichen die dringende Notwendigkeit, Chancengleichheit als oberstes Gebot in der Bildungspolitik zu verankern. Angesichts der schlechten Bildungsergebnisse seit 23 Jahren fordert Kai Gehring, Vorsitzender des Bundestagsbildungsausschusses, eine dringende Sonder-Ministerpräsidentenkonferenz. Bildung müsse höchste Priorität haben. SPD-Chefin Saskia Esken unterstützt die Ausweitung des Startchancen-Programms angesichts der PISA-Studie.

Fehlstart für Startchancen: Programm kämpft mit Uneinigkeit

Mit dem Ziel, Bildungsgerechtigkeit an Schulen zu fördern, wurde das Startchancen-Programm bereits 2021 im Koalitionsvertrag der Bundesregierung beschlossen. Geplant ist ein umfassendes Förderprogramm in einem Zeitraum von zehn Jahren, das über 4000 Schulen unterstützen soll, darunter zahlreiche, mit  sozial benachteiligten Schüler:innen. Ursprünglich sollte dieses im Schuljahr 2023/24 starten, doch Uneinigkeit über die Verteilung der Mittel und der Zuständigkeiten prägt die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern. Anfang 2024 soll die Vereinbarung offiziell unterzeichnet werden und voraussichtlich im Schuljahr 2024/25 seinen Anfang nehmen. 

Gutachten zum Lehrkräftemangel

Größere Klassen, eine Anpassung des Ruhestandseintritts, Hybridunterricht und Lehramtsstudierende in die Schulen: so lauteten einige Lösungsvorschläge zum akuten Lehrkräftemangel, die die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz bereits im Januar in einem Papier vorgestellt hatte. Auf die Vorschläge folgte Kritik. Sowohl von Seiten der Lehrkräfteverbände wie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) als auch von der Bertelsmann Stiftung wurden die vorgeschlagenen Maßnahmen als zusätzliche Belastung für die Lehrkräfte gewertet. Im Dezember stellte die SWK nun ein elf Punkte umfassendes zweites Gutachten vor, das grundlegende Anpassungen im Ausbildungssystem bewirken soll und somit den Lehrberuf attraktiver machen könnte.

Wechsel der KMK-Präsidentschaft

Nach nur vier Monaten als Präsidentin der Kultusministerkonferenz wurde Astrid-Sabine Busse (SPD) von Katharina Günther-Wünsch (CDU) im Mai abgelöst. Grund für den Wechsel war die Wiederholung der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus,  die der Verfassungsgerichtshof aufgrund zahlreicher Pannen im September 2021 annullierte. Das neue Wahlergebnis führte zu einer schwarz-roten Koalition, die den rot-rot-grünen Senat ablöste, wobei auch das Bildungsressort nach 27 Jahren von der SPD zur CDU wechselte. Obwohl ein Wechsel innerhalb der einjährigen Präsidentschaft selten ist, kam dies jedoch in den vergangenen 50 Jahren bereits dreimal vor. Besonders ist allerdings der Wechsel der Parteizugehörigkeit. Auf der Agenda von Günther-Wünsch steht vor allem die Bekämpfung des Lehrkräftemangels.

Bedrohliche Kulisse: Extremismus, Rassismus und Gewalt an Schulen

Politische Bildung ist in diesem Jahr noch einmal verstärkt in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Die jüngsten politischen Entwicklungen im Nahen Osten sorgten auch an deutschen Schulen für angespannte Situationen. Nicht nur Antisemitismus nahm in ihrer Folge zu, auch antimuslimischer Rassismus wurde laut der Anlaufstelle für Diskriminierungsschutz an Schulen (ADAS) vermehrt gemeldet. An den Schulen kam es nach dem 7. Oktober teilweise zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Schüler:innen und Lehrkräften, wie etwa an einer Berliner Schule. Parallel dazu wurden rechtsextreme Vorfälle und Übergriffe an Schulen verstärkt bekannt. Im April machten zwei Lehrkräfte aus Brandenburg in einem Brandbrief auf Hakenkreuze auf Schulmobiliar, rechtsextreme Musik unter den Schüler:innen und demokratiefeindlichen Parolen auf den Schulfluren aufmerksam und kritisierten das Versagen der Schulleitungen. In der Folge forderten einige Eltern die Entlassung der Lehrkräfte und zudem soll sich ein Instagram-Account gebildet haben, der zur Jagd auf die beiden aufgerufen hätte. Kürzlich wurde eine brandenburgische Lehramtskandidatin wegen offensichtlicher Verbindungen in die rechtsextreme Szene aus dem Beamtenverhältnis entlassen. Außerdem verdeutlichen die Wahlen in Hessen und Bayern einen Anstieg von Erstwähler:innen der AfD. Gleichzeitig werden Lehrkräfte vermehrt zum Ziel von verbalen, physischen und sexuellen Übergriffen, besonders an Gesamtschulen, wie eine Umfrage des Deutschen Philologenverbandes Nordrhein-Westfalen zeigt. Insgesamt verdeutlichen diese Entwicklungen den Bedarf an politischer Bildung. Dennoch waren Kürzungen im Bundeshaushalt 2024 für politische Bildung im Gespräch.

Bildungsgipfel-„Show“

Im März hatte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) einen Bildungsgipfel einberufen, der eigentlich die drängendsten bildungspolitischen Themen, wie den Lehrkräftemangel und die hohe Schulabbrecherquote, behandeln sollte. Aus diesem wurde jedoch eine dreistündige Veranstaltung bei einer Fachtagung, zu der nur wenige Landesvertreter:innen erschienen. Der Gipfel wurde daraufhin als „Show“ und unzureichend vorbereitet kritisiert. Stark-Watzinger stand dabei im Fokus der Kritik. 

ChatGPT und KI

Kaum ein Thema war dieses Jahr derart Dauerbrenner wie ChatGPT und Künstliche Intelligenz. Bereits im November 2022 war ChatGPT für die Öffentlichkeit kostenfrei zugänglich gemacht worden. In den Schulen nahm das Thema dann ab Beginn dieses Jahres Fahrt auf. Während Schüler:innen die Plattform für Hausaufgaben nutzten, bekamen Lehrkräfte in Sachsen-Anhalt offiziellen Zugang. Die Debatte um die Reform von Prüfungsmethoden, das Verbot und die gezielte Nutzung von KI in Klassenzimmern ist noch immer nicht abgeschlossen. Das Thema hat das Potenzial, auch die Bildung in den nächsten Jahren zu revolutionieren. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) stellte außerdem seinen Aktionsplan Künstliche Intelligenz vor, laut dem in der laufenden Legislaturperiode über 1,6 Milliarden Euro in KI investiert werden sollen. Darüber hinaus sind auch andere Länder und deren KI-Systeme im Gespräch, die frühzeitig vor potenziellen Schulabbrüchen warnen. In Deutschland müssten diese jedoch weiterhin digitaler werden.

Kommt der Digitalpakt 2.0?

Obwohl der „Digitalpakt Schule“ im Mai 2024 ausläuft, ist die Fortsetzung, ein „Digitalpakt 2.0“, noch immer nicht gewiss. Erneut sind Geldfragen und die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern die Ursache für den Verhandlungsstau. Trotz des Versprechens einer Fortsetzung des Digitalpakts im Koalitionsvertrag kritisierten die Länder das Fehlen eines klaren Bekenntnisses seitens des Bundes. Angesichts der aktuellen Haushaltssituation könnte sich der Streit weiter hinziehen.

Im Jahr 2023 hat der Bildungsbereich zahlreiche Herausforderungen und Diskussionen hervorgebracht. Von alarmierenden Bildungsergebnissen über politische Spannungen bis hin zu technologischen Neuerungen — die Politik und die Schulen in Deutschland stehen 2024 weiterhin vor vielfältigen Aufgaben. Auch im kommenden Jahr wird die Frage nach einer nachhaltigeren und gerechteren Bildungspolitik im Fokus stehen. Das voraussichtlich anlaufende Startchancen-Programm im Schuljahr 2024/25 bietet die Möglichkeit, konkrete Schritte in Richtung Bildungsgerechtigkeit zu unternehmen. Zudem könnte ein gut vorbereiteter Bildungsgipfel Fortschritte in den zentralen bildungspolitischen Fragen fördern.

Der Präsident des deutschen Lehrerverbands, Stefan Düll, hat für Lehrer-News einen Blick in die bildungspolitische Zukunft geworfen. Für das Jahr 2024 skizziert er die wichtigsten Themen, die uns im kommenden Jahr bewegen werden.

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