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Das Zentralabitur ist seit vielen Jahren ein kontrovers diskutiertes Thema in Deutschland. In der Bildungspolitik gibt es Befürworter und Gegner, die sich leidenschaftlich über die Vor- und Nachteile des Zentralabiturs streiten. Angesichts der immer wiederkehrenden Debatten und der sich verändernden politischen Landschaft ist es an der Zeit, einen genauen Blick auf das Zentralabitur zu werfen. In der vergangenen KMK wurden weitere Schritte zur Vereinheitlichung beschlossen, mehr dazu in unserer Kurzmeldung. Dieser Artikel wird die aktuellen Entwicklungen in der Bildungspolitik und Pro- und Kontra-Argumente beleuchten. Wir werden darauf eingehen, welche Herausforderungen eine Einführung mit sich bringen würde und wie sich das Zentralabitur auf die Bildungschancen und die Zukunft der Schülerinnen und Schüler auswirken könnte.
Derzeit gibt es in Deutschland kein einheitliches Abitur. Jedes Bundesland ist für die Organisation und Durchführung seiner eigenen Abiturprüfungen verantwortlich. Es gibt seit längerem Bestrebungen, ein einheitliches Zentralabitur in ganz Deutschland einzuführen. So haben die Bundesländer bereits damit begonnen, bestimmte Teile ihrer Abiturprüfungen zu zentralisieren, wie zum Beispiel die schriftlichen Prüfungen in einigen Fächern (Deutsch, Mathematik, fortgeführte Fremdsprache). Für mehr Vergleichbarkeit soll ein zentraler Aufgabenpool der Länder sorgen, der sich in den letzten Jahren durchaus bereits bewährt hat. Die Aufgaben werden vom Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) gestellt und die meisten Länder einigten sich auch auf zentrale Prüfungstermine. Das Thema Zentralabitur sorgt aber immer wieder für Streit. Nachdem sich 2019 Abiturient:innen aus einzelnen Bundesländern über aus ihrer Sicht zu anspruchsvolle Abiturprüfungen in Mathematik beschwert hatten, flammte die Diskussion immer wieder auf. Die Uneinigkeit führte im Dezember 2019 sogar zum Ausstieg Bayerns und Baden-Württembergs aus dem Nationalen Bildungsrat.
Im Rahmen dieser Debatte sprachen sich einige hochrangige Bundes- und Landespolitiker gegen die Einführung eines bundesweiten Zentralabiturs aus. Ihnen zufolge würde ein einheitliches Zentralabitur insgesamt zu niedrigeren Standards führen und die Bildungshoheit der Länder angreifen. Zumindest in der Bevölkerung scheint in den letzten Jahren die Idee eines deutschlandweiten Zentralabiturs mehrheitlich auf Zustimmung zu stoßen, wie aus dem Ifo-Bildungsbarometer von 2020 und einer Umfrage im Auftrag der Süddeutschen Zeitung aus 2019 hervorgeht: "Sind Sie für die Einführung eines bundesweiten Zentralabiturs mit einheitlichen Prüfungen und Bewertungsrichtlinien in ganz Deutschland?" 80 Prozent der Befragten sprachen sich für zentrale Prüfungen aus.
Ein einheitliches Zentralabitur birgt zahlreiche potentielle Vorteile. Einer der nennenswertesten ist die höhere Vergleichbarkeit der Abiturabschlüsse zwischen den verschiedenen Bundesländern und Schulformen. Durch die Standardisierung der Prüfungen werden die Leistungen der Schülerinnen und Schüler besser vergleichbar, was zu einer höheren Chancengleichheit führen könnte. Ein weiterer Vorteil wäre die Möglichkeit, die Qualität der Abiturprüfungen zu erhöhen. Durch ein einheitliches Zentralabitur könnten die Lehrkräfte besser auf die Prüfungsvorbereitung der Schülerinnen und Schüler eingehen und die Prüfungen in den verschiedenen Fächern auf einem höheren Qualitätsniveau gestalten. Darüber hinaus würde ein zentrales System auch eine bessere Überwachung und Evaluierung der Prüfungsprozesse ermöglichen.
Ein einheitliches Zentralabitur könnte zudem dazu beitragen, den Verwaltungsaufwand für Schulen und Lehrkräfte zu verringern. Derzeit müssen die Schulen in jedem Bundesland unterschiedliche Prüfungsstandards einhalten und die Prüfungen eigenständig organisieren. Ein einheitliches Zentralabitur würde es den Schulen ermöglichen, sich auf die tatsächliche Prüfungsvorbereitung der Schülerinnen und Schüler zu konzentrieren, anstatt sich mit der Organisation der Prüfungen auseinandersetzen zu müssen. Insgesamt könnte ein einheitliches Zentralabitur in Deutschland zu einer besseren Bildungslandschaft und einer höheren Chancengleichheit für Schülerinnen und Schülern führen.
Erste Schritte in Richtung Zentralabitur sind bereits gemacht: Einheitliche Prüfungsstandards für das Abitur wurden schon beschlossen, aber bislang nur teilweise in die Realität umgesetzt. In erster Linie haben immer noch die Bundesländer die Hoheit über die Bildungspolitik. Mit einem Beschluss der Kultusministerkonferenz aus dem Jahr 2012 haben sich mittlerweile alle Bundesländer auf einheitliche Bildungsstandards für die allgemeine Hochschulreife geeinigt. Als zentrales Instrument zur Umsetzung dieser Standards wurde ein gemeinsamer Aufgabenpool beschlossen. Dieser soll den Ländern auf den vereinbarten Standards basierende Prüfungsaufgaben in Mathematik, Deutsch, Englisch und Französisch zur Verfügung stellen. Seit 2017 können die Länder auf Prüfungsaufgaben aus dem gemeinsamen Pool zugreifen.
Der Deutsche Philologenverband (DPhV) spricht sich für deutlich mehr Vergleichbarkeit bei den Abiturprüfungen der Bundesländer aus. Bundesvorsitzende Lin-Klitzing sagte dazu im Februar: „Wir treten ein für mehr Bildungsgerechtigkeit beim Abitur, so wie das Bundesverfassungsgericht es fordert. Dazu gehört mehr einheitliche Vergleichbarkeit auf höherem Niveau bei den Rahmenbedingungen für die in die Abiturwertung einzubringenden Leistungen. Wir treten deshalb gegen Bestrebungen ein, die Schulzeit in der gymnasialen Oberstufe individuell weiter auszudehnen, außerschulisch erbrachte Leistungen anzuerkennen oder die Abiturprüfungen individuell ,additiv‘ zu gestalten. Gerade außerschulisch erbrachte Leistungsnachweise benachteiligen vor allem Schüler aus sogenannten ,bildungsfernen‘ Elternhäusern. Es muss hingegen gerade um die Sicherung des Rechtsanspruchs auf den schulischen Fachunterricht für alle Schülerinnen und Schüler gehen!“
Die Einführung eines einheitlichen Zentralabiturs in Deutschland wird von Kritikern als problematisch angesehen. Einer der Hauptkritikpunkte ist die Gefahr einer Standardisierung der Bildung und einer Einschränkung der Autonomie der Schulen und Lehrkräfte. Durch die Einführung eines zentralen Prüfungssystems könnte die Vielfalt der Lehrpläne und pädagogischen Ansätze in den verschiedenen Bundesländern eingeschränkt werden, was in einer Verarmung des Bildungsangebots resultieren könnte.
Ein weiteres Argument gegen ein Zentralabitur ist die Befürchtung, dass ein einheitliches Prüfungssystem nicht den unterschiedlichen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler in den verschiedenen Bundesländern gerecht werden würde. Die Lernenden in den verschiedenen Bundesländern haben unterschiedliche Lernvoraussetzungen und Erfahrungen, die sich auf die Prüfungsleistungen auswirken können. Ein einheitliches Zentralabitur könnte dazu führen, dass die Schülerinnen und Schüler in den benachteiligten Bundesländern schlechter abschneiden und somit eine weitere Benachteiligung erfahren.
Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) sprach sich 2007 und erneut 2017 deutlich gegen ein Zentralabitur aus. In einem Beschluss fordern sie, dass das Abitur berufsorientiert gestaltet und methodisch ein allgemeinbildender Abschluss sein muss, der die Zulassung zu Universitäten ohne anschließende Hochschulaufnahmeprüfungen ermöglicht. Die Vergleichbarkeit sollte auf KMK Anforderungsniveaus, Kompetenzen und zugehörigen Operatoren basieren. Im Fokus des Unterrichts sollen Allgemeinbildung, Wissenschaftspropädeutik und Studierfähigkeit stehen. Prüfungen sollten Wahlmöglichkeiten und Schwerpunktsetzungen beinhalten und Korrekturverfahren sollten vollständig in der Schule bleiben. Außerdem müssten die Korrekturprozesse Lehrkräfte entlasten, besonders zeitlich.
Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt gegen ein Zentralabitur ist der damit verbundene administrative Aufwand. Die Einführung eines einheitlichen Prüfungssystems würde eine umfassende Überarbeitung und Anpassung der Lehrpläne und Prüfungsstandards in allen Bundesländern erfordern. Dies würde nicht nur viel Zeit und Ressourcen in Anspruch nehmen, sondern auch eine Vielzahl von logistischen und organisatorischen Problemen mit sich bringen. Die Diskussion über die Vor- und Nachteile eines solchen Systems wird weiterhin kontrovers geführt, und es bleibt abzuwarten, ob und wann ein einheitliches Zentralabitur tatsächlich eingeführt wird.
Eine der größten Herausforderungen wäre die Koordination der unterschiedlichen Lehrpläne und Prüfungsstandards in den verschiedenen Bundesländern. Dies würde umfangreiche Anpassungen und Änderungen in den Lehrplänen und Prüfungsverfahren erfordern. Eine weitere Herausforderung wäre die Organisation und Durchführung der Prüfungen selbst. Ein zentrales Prüfungssystem würde einen erheblichen logistischen und administrativen Aufwand erfordern, um sicherzustellen, dass alle Schülerinnen und Schüler die Prüfungen unter gleichen Bedingungen ablegen können. Darüber hinaus müssten auch geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass die Prüfungen weiterhin fair und objektiv bewertet werden.
Schließlich müssten auch geeignete Mechanismen für die Überwachung und Evaluierung des Zentralabiturs geschaffen werden. Ein zentrales Prüfungssystem erfordert eine angemessene Überwachung und Kontrolle, um sicherzustellen, dass die Prüfungen effektiv und fair durchgeführt werden. Eine unabhängige Überprüfung des Systems und der Ergebnisse würde auch dazu beitragen, das Vertrauen in das Zentralabitur zu stärken und sicherzustellen, dass es seine beabsichtigten Ziele erreicht.
Die Debatte um das Zentralabitur in Deutschland ist noch lange nicht beendet. Befürworter argumentieren, dass ein einheitliches Prüfungssystem für gerechtere Bildungschancen sorgen und die Vergleichbarkeit der Ergebnisse verbessern würde. Kritiker befürchten jedoch eine Standardisierung der Bildung und eine Einschränkung der Autonomie der Schulen und Lehrkräfte sowie eine Benachteiligung von Schülerinnen und Schülern in benachteiligten Bundesländern. Die Einführung eines Zentralabiturs würde zahlreiche Herausforderungen mit sich bringen, darunter die Vereinheitlichung der Lehrpläne und Prüfungsstandards in den verschiedenen Bundesländern, die Organisation und Durchführung der Prüfungen selbst sowie die Schaffung geeigneter Mechanismen zur Überwachung und Evaluierung des Systems. Trotz dieser Herausforderungen wird die Debatte über das Zentralabitur in Deutschland weitergehen. Es bleibt abzuwarten, ob und wann ein einheitliches Prüfungssystem tatsächlich eingeführt wird und wie es sich auf das deutsche Bildungssystem auswirken wird.
Schreibt uns gerne in die Kommentare, was ihr von der Idee des Zentralabiturs haltet und welche Maßnahmen ihr für sinnvoll erachtet!