Shell-Jugendstudie: Von wegen politikmüde – Jugendliche engagieren sich mehr denn je

Von
Helen Mattes
|
21
.
October 2024
|
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vier junge Menschen schauen und lächeln sich an

Ergebnisse der Shell Jugendstudie: Jugendliche zeigen großes politisches Interesse und Zuversicht für die Zukunft (Quelle: Canva)

Die Jugend von heute – politikverdrossen? Die am Dienstag veröffentlichte Shell Jugendstudie zeichnet ein anderes Bild: Die Mehrheit der Jugendlichen zeigt großes Interesse an Politik und blickt optimistisch in die Zukunft, besonders in Bezug auf die Chancen, die ihnen Staat und Gesellschaft bieten. 

Für die 19. Shell Jugendstudie wurden 2.509 junge Menschen im Alter von 12 bis 25 Jahren ausführlich befragt, um einen Einblick in ihre Lebenswirklichkeit sowie ihre Einstellungen und Werthaltungen zu gewinnen. Gezielt wurden dabei Ängste vor Krieg und Klimawandel, die Zufriedenheit mit der Demokratie sowie das Vertrauen in staatliche Institutionen und Medien erfragt. Die Datenerhebung fand zwischen Januar und Ende März mittels eines standardisierten Fragebogens statt. Ergänzend wurden in einer qualitativen Untersuchung etwa zweistündige Gespräche mit 20 Jugendlichen geführt, um ihre Perspektiven noch genauer zu beleuchten.

Politisches Engagement: Mehr als nur ein Trend der “Generation Greta”

Das politische Interesse der Jugendlichen hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Derzeit bezeichnen sich 55 Prozent als politisch interessiert. In den 1990er und 2000er Jahren lagen die Zahlen deutlich niedriger, 2002 sogar nur bei 34 Prozent. Zwischen Mädchen und Jungen gibt es mittlerweile kaum noch Unterschiede – Politik ist nicht mehr überwiegend “Männersache”.

Zudem informieren sich immer mehr Jugendliche aktiv über Politik, und auch das politische Engagement ist deutlich gestiegen. Von 2002 bis 2024 wuchs der Anteil engagierter Jugendlicher von 22 auf 37 Prozent. Dieser Anstieg zeigt, dass es sich beim Interesse an politischer Partizipation nicht um einen kurzfristigen Trend handelt, sondern um eine nachhaltige Entwicklung, die über mediale Bewegungen hinausgeht. Das politische Interesse der Jugendlichen ist also weit mehr als ein vorübergehender Effekt der “Generation Greta”. Es ist Ausdruck eines tief greifenden gesellschaftlichen Wandels, in dem junge Menschen langfristig Verantwortung übernehmen und sich aktiv in politische Prozesse einbringen wollen – unabhängig von gegenwärtigen oder vergangenen Protestbewegungen.

Die Shell Jugendstudie zeigt auch, dass sich die politische Positionierung der Jugendlichen seit 20 Jahren kaum verändert hat. Auf einer Skala von 1 (links) bis 11 (rechts) liegt der Durchschnitt aktuell bei 5,3 – nahezu unverändert seit 2019. 14 Prozent ordnen sich links ein, 32 Prozent eher links, 26 Prozent in der politischen Mitte, und 18 Prozent eher rechts oder rechts. Nur 10 Prozent möchten sich nicht festlegen. Vor allem bei den männlichen Jugendlichen ist eine Zunahme der Selbstverortung im rechten Spektrum zu beobachten (25 Prozent), während sich gleichzeitig sowohl mehr männliche als auch weibliche Jugendliche stärker im linken Spektrum positionieren.

Jugendliche haben durchaus Sorgen, die sich auch in ihrem politischen Verständnis widerspiegeln. Im Gegensatz zu früheren Studien zeigt sich jedoch kein eindeutiger Rechtsruck, sondern ein differenzierteres Bild: Autoritäre Tendenzen betreffen vor allem junge Männer, die durch bestimmte Männlichkeitsstereotype anfälliger für populistische Antworten sind. Trotz dieser Tendenzen bleibt das Gesamtbild der Jugend differenziert, mit einem wachsenden Bewusstsein für gesellschaftliche Vielfalt und einer verstärkten Orientierung an demokratischen Werten.

Was die Jugend beschäftigt: Von globalen Krisen bis zu gesellschaftlichen Debatten

Im Jahr 2024 stehen bei Jugendlichen die Angst vor Krieg in Europa (81 Prozent) und wirtschaftlichen Problemen (67 Prozent) an oberster Stelle. Die Sorge um Arbeitslosigkeit oder fehlende Ausbildungsplätze sind hingegen auf einen Tiefstand gesunken (35 Prozent). Der Klimawandel (63 Prozent) und die Umweltverschmutzung (64 Prozent) bleiben wichtige Themen. Auch die zunehmende Feindseligkeit zwischen Menschen (64 Prozent) und Ausländerfeindlichkeit (58 Prozent) bereiten vielen jungen Menschen Sorgen, während Zuwanderung weniger häufig als Angst genannt wird (34 Prozent). 

Die Antworten unterscheiden sich je nach Bildungsgrad: Jugendliche mit höherem Bildungsniveau sorgen sich vor allem um den Klimawandel und den sozialen Zusammenhalt, während bei Jugendlichen mit niedrigerem Bildungsniveau eher wirtschaftliche Ängste und Sorgen zum Thema Migration dominieren.

Ein weiteres Thema, das in der Shell Jugendstudie untersucht wurde, ist die Verwendung einer geschlechtergerechten Sprache. 42 Prozent der befragten Jugendlichen lehnen Gendern ab, während 22 Prozent zustimmen und 35 Prozent das Thema gleichgültig ist. Deutliche Unterschiede gibt es zwischen den Geschlechtern: 33 Prozent der jungen Frauen befürworten das Gendern, aber nur 12 Prozent der Männer. Auch Feminismus und eine vielfältige Gesellschaft sind Frauen wichtiger, während Männer eher Themen wie Männlichkeit und sportliche Autos priorisieren.

Trotz vieler Krisen blicken 56 Prozent der Jugendlichen so optimistisch in die Zukunft wie nie zuvor. Sie sehen die Vorteile ihres Lebens in Deutschland im Vergleich zu anderen Regionen. Dies betont auch der Studienautor Mathias Albert in einem Interview mit der Tagesschau: “Das positive Signal ist, dass sie trotz dieser Ängste und Sorgen zunehmend positiv in die Zukunft der Gesellschaft schauen”. Interessant ist jedoch, dass Jugendliche aus einfachen sozialen Verhältnissen an Zuversicht gewonnen haben (47 Prozent) während der Optimismus bei Jugendlichen aus wohlhabenderen Familien abgenommen hat. 

Zudem weist Albert darauf hin, dass junge Menschen trotz der Probleme Vertrauen in die Demokratie haben. “Junge Menschen haben viel zu kritisieren und auch zurecht zu kritisieren, was die Problemlösungen anbelangt, die die Politik anbietet und wie ernst die Politik sie nimmt. Aber diese ganze Kritik von vielen Dingen, die schlägt nicht in Systemkritik um. Das Vertrauen in staatliche Institutionen ist sehr hoch und auch das Vertrauen in die Demokratie. Die Zustimmung zur Demokratie als Staatsform bleibt auch hoch, da geht eigentlich nichts zurück”, so Albert.

Digitale Bildung: Fake News, KI und Co

Ein weiteres zentrales Thema der Shell-Studie war der Umgang mit digitalen Medien. Jugendliche nutzen digitale Technologien zunehmend intensiver, vor allem zur Kommunikation. 95 Prozent verwenden täglich Messenger-Dienste, gefolgt von 82 Prozent, die regelmäßig soziale Medien nutzen. Beliebt sind auch Unterhaltungsangebote wie Musik hören (67 Prozent) und das Streamen von Videos oder Serien (54 Prozent). Darüber hinaus wächst das Interesse an bildungsrelevanten Inhalten: 69 Prozent suchen Informationen für Schule oder Beruf, während sich 30 Prozent über politische und gesellschaftliche Themen erkundigen.

Die Mehrheit der Jugendlichen (90 Prozent) hält es für wichtig, dass der Umgang mit digitalen Medien und das Erkennen von Fake News verpflichtend in der Schule gelehrt wird. Dieser Wunsch ist unabhängig von Alter, Region, sozialem Hintergrund oder Geschlecht. Auch der Umgang mit Künstlicher Intelligenz wird von 60 Prozent der Jugendlichen als wichtiger Schulinhalt angesehen, insbesondere von denjenigen, die das Abitur oder die Fachhochschulreife anstreben (66 Prozent).

Etwa die Hälfte der Jugendlichen (47 Prozent) bewertet Künstliche Intelligenz (KI) positiv. Viele glauben, dass KI den Alltag erleichtern (69 Prozent) und Bereiche wie Medizin und Bildung verbessern kann (60 Prozent). Allerdings sehen 65 Prozent auch Gefahren durch mangelnde Empathie und 45 Prozent befürchten den Verlust von Arbeitsplätzen. Ein Drittel der befragten Jugendlichen fühlt sich durch KI überfordert, weshalb 77 Prozent eine klare Kennzeichnung beim Einsatz von KI fordern. Der Umgang mit digitalen Medien und Künstlicher Intelligenz wird von Jugendlichen somit nicht nur intensiv genutzt, sondern auch kritisch hinterfragt, wobei sie klare Erwartungen an den Bildungsbereich und die Gesellschaft haben.

Blick auf die Bildung: Wie Jugendliche ihre Zukunft sehen

In Deutschland ist ein klarer Trend im Bildungswesen zu erkennen: Immer mehr Jugendliche erreichen höhere Bildungsabschlüsse als ihre Eltern. 28 Prozent der Jugendlichen verzeichnen eine Verbesserung im Vergleich zu den Bildungsabschlüssen ihrer Eltern, während nur 13 Prozent einen Abstieg erleben. Vor allem Jugendliche aus weniger privilegierten Schichten haben dabei häufiger Brüche in ihrer Bildungslaufbahn. Trotz dieser Herausforderungen blicken 84 Prozent der Jugendlichen optimistisch auf ihre berufliche Zukunft, wobei ein sicherer Arbeitsplatz für 91 Prozent besonders wichtig ist. Unterschiede gibt es bei den Erwartungen: Während viele Jugendliche ein hohes Einkommen und Karrierechancen priorisieren, legen andere Wert auf Sinnhaftigkeit und Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben.

Der Trend im Bildungssystem zeigt außerdem, dass das Gymnasium immer mehr zur bevorzugten Schulform wird, während die Hauptschule an Bedeutung verliert. Derzeit besuchen 48 Prozent der Jugendlichen ein Gymnasium und 5 Prozent eine Hauptschule. Der Bildungserfolg hängt dabei nach wie vor stark von der sozialen Herkunft ab: Jugendliche aus Akademikerfamilien streben deutlich häufiger das Abitur an als Jugendliche aus bildungsbenachteiligten Haushalten. Die Mehrheit der Jugendlichen ist zuversichtlich, ihre Bildungsziele zu erreichen und nach der Ausbildung oder dem Studium auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Jugendliche aus wohlhabenderen Familien blicken jedoch deutlich optimistischer auf ihre Bildungs- und Berufsaussichten als jene aus sozial schwächeren Schichten.

In diesen bewegten Zeiten sind junge Erwachsene also nicht politikmüde, sondern zeigen mehr Interesse denn je. Die Hälfte ist politisch interessiert, und das Engagement nimmt weiter zu. Sie vertrauen der Demokratie und staatlichen Institutionen. Dieser Politisierungstrend zeigt also deutlich, dass junge Menschen, unabhängig von Geschlecht oder gesellschaftlichen Vorurteilen, eine aktive Rolle bei der Gestaltung ihrer Zukunft spielen wollen. Auch Albert geht auf das Vorurteil ein, dass sich junge Menschen nicht für Politik interessieren würden:

”Wir sehen eine breite Politisierung. Es ist ein langfristiger Trend, dass das politische Interesse der Jugendlichen zunimmt. Was neu ist, ist, dass erstmals genauso viele weibliche Jugendliche politisch interessiert sind wie männliche Jugendliche. Die Jugendlichen sagen, dass sie sich mehr als noch vor einigen Jahren über Politik informieren, also insgesamt auf breiter Front ein Politisierungstrend”.
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