Traumatisierte Schüler:innen können selbst resiliente Lehrkräfte an ihre Grenzen bringen. Wie damit umgehen? (Quelle: Unsplash)
Wenn Luca ausrastet, dann aber so richtig: wer nicht aufpasst bekommt ein Heft oder einen Stift an den Kopf. Wenn gar nichts mehr geht, fliegt auch mal ein Stuhl. Und Sophie ist immer ganz still und trägt selbst an Tagen, an denen man eigentlich „hitzefrei“ bekommen sollte, Langarmshirts. Und Mohammed kann sich überhaupt nichts merken; Hirn = Sieb, sozusagen. Solche Lucas, Sophies und Mohammeds kennt vermutlich jede oder jeder – oder zumindest vom Hörensagen. In meiner Zeit als Lehrerin an einer Sonderberufsschule hatte ich oft alle drei in meinen Klassen sitzen.
Was ist mit diesen Jugendlichen los? Wie gehe ich als Lehrkraft mit ihnen um? Kann ich überhaupt noch vor der Klasse stehen oder was mache ich mit meinem eigenen Unbehagen, meiner eigenen Angst? Kann ich da noch ein guter Lehrer oder eine gute Lehrerin sein? Was will ich hier eigentlich? Ich will doch Wissen vermitteln und dafür bin ich ausgebildet worden. Das überfordert mich. Zu viele Bälle soll ich gleichzeitig in der Luft halten. Und damit bin ich nicht alleine: über die Hälfte der Lehrkräfte leidet aus unterschiedlichen Gründen an Erschöpfung – so das Ergebnis einer Studie der Robert-Bosch-Stiftung aus dem Jahr 2022.
Möglicherweise tragen Luca, Sophie und Mohammed ein Trauma mit sich herum. Das Wort „Trauma“ ist in aller Munde. Erst letzte Woche hörte ich eine Radiomoderatorin sagen, sie sei vom Nebensitzer im Kino traumatisiert: weil er sein Popcorn so laut gegessen habe. Der inflationäre Gebrauch des Wortes lässt mich innerlich aufstöhnen.
„Trauma“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet Wunde. Von einer psychischen Traumatisierung wird gesprochen, wenn ein objektiv belastendes Ereignis, das außerhalb der eigentlichen Erlebniswelt liegt auf das subjektive Erleben von absoluter Hilflosigkeit, Ohnmacht und Entsetzen trifft, verbunden mit Flucht- und Kampfimpulsen. Ein Trauma ist also eine Wunde, ausgelöst durch ein belastendes Ereignis, das eine Stressreaktion im Körper zur Folge hat. Ob das Popcornrascheln des Nebensitzers im Kino damit wirklich gemeint sein kann, ist fragwürdig. Traumatische Erlebnisse sind zum Beispiel eine Naturkatastrophe – denken wir an das Erdbeben in der Türkei. Oder sexueller Missbrauch und häusliche Gewalt. Auch Kriegserlebnisse gehören dazu. Symptome einer Traumatisierung können sein: sozialer Rückzug, Essstörungen und selbstverletzendes Verhalten.
Und was kann die Schule, was kann ich als Lehrkraft tun? Ich bin fest davon überzeugt, dass das, was wir in solchen Momenten vielleicht am Wenigsten wollen, am besten hilft: ein Beziehungsangebot zu machen. Diese jungen Menschen brauchen Stabilität, in Form von Zuverlässigkeit, Feinfühligkeit, Ehrlichkeit und Empathie. Und ja: auch von mir als Lehrkraft brauchen sie das.
Und was brauchen Lehrkräfte? Zuerst einmal Wissen über Traumatisierung. Was passiert da genau im Gehirn, wie reagiert der Körper, wodurch entsteht das und: geht das auch wieder weg? Dieses Wissen brauchen auch die betroffenen Kinder und Jugendlichen! Dann kommen Menschen meiner
Zunft ins Spiel: ich bin Lehrerin und Traumapädagogin und gebe regelmäßig Workshops und Seminare für Lehrkräfte und erzähle genau davon. Damit jede und jeder lernt, ein bisschen die Trauma-Brille aufzusetzen. Damit wir Lehrkräfte nicht hilflos sein müssen. Damit wir ein Werkzeug an die Hand bekommen. Einer meiner Lieblingssätze ist ein arabisches Sprichwort: „Humor und Geduld sind zwei Kamele, mit denen Du durch jede Wüste kommst.“ Dieser Spruch hing im Lehrerzimmer unserer Schule, in der wir traumapädagogisch gearbeitet haben. Manchmal musste ich innehalten, bevor ich in die Klasse gehen konnte. Und dieser Spruch hat mich oft gerettet.
Unsere Schülerinnen und Schüler brauchen stabile Lehrkräfte! Lehrkräfte, die sie aushalten, Lehrkräfte, die ihnen einen sicheren Ort bieten! Ja, und wie bitteschön soll das gehen, wenn (laut besagter Studie) für über drei Viertel der Lehrkräfte (79%) Wochenendarbeit die Regel und eine Erholung in der Freizeit kaum noch möglich (60%) ist? Die Hälfte leidet unter körperlicher (62%) oder mentaler Erschöpfung (46%). Auch Lehrerinnen und Lehrer brauchen so einen sicheren Ort. Und ja, auch an der Schule. Schule sollte ein Ort sein, an dem ich mich sicher und geborgen fühle. An dem ich Fehler machen darf. Ein Ort, an dem ich akzeptiert und wertgeschätzt werde. SchülerInnen wie LehrerInnen.
Selbstfürsorge ist ein großes Wort, ebenso Ressourcenaktivierung. In meine Online-Praxis kommen Lehrerinnen und Lehrer, denen es schwerfällt, „nein“ zu sagen. Die lernen möchten, wie man sich abgrenzt. Und die nicht das große, fette Stoppschild zücken wollen, sondern „nur“, dass respektvoll mit ihnen umgegangen wird. Es kommen Menschen, deren Batterien leer sind und die sie wieder aufladen wollen. LehrerInnen, die diesen Beruf aus Überzeugung gewählt haben und die wieder entspannter und gelassener vor ihrer Klasse stehen wollen.
In der systemischen Sichtweise geht man davon aus, dass jede und jeder die Lösungen für sein und ihr Problem in sich selbst trägt. Es ist nur vielleicht ein bisschen verschüttet und man braucht Unterstützung beim Freilegen. Mit meiner Arbeit als systemische Beraterin und Traumapädagogin biete in solchen Momenten die gesamte Bandbreite an: von Bagger über Schaufel bis hin zum feinen Pinsel, um die Lösung freilegen zu können. Und ich unterstütze dabei, den Kopf ein bisschen zu drehen, damit sich neue Blickwinkel ergeben und man dann auf die Lösung eines Problems kommt – den Eulenblick sozusagen. Apropos: ich liebe es, mit Metaphern zu arbeiten! Und ich halte es mit dem arabischen Sprichwort: Geduld und Humor! Die beiden helfen immer: im Umgang mit den Schülerinnen und Schülern und im Umgang mit sich selbst: milde zu sich sein und auch mal lachen können. Das erleichtert ungemein und genau das ist es doch, was wir wollen: dass es wieder leichter wird.
Unsere Gastautorin Stefanie Rosenberger arbeitet als Coach und systemische Beraterin, und hat früher selbst unterrichtet.