Zwischen Traumberuf und Realität: Warum viele angehende Lehrkräfte aufgeben

Verzweifelte Lehrerin

Viele angehende Lehrkräfte zweifeln während des Studiums oder Referendariats an ihrer Eignung für den Beruf als Lehrer:in. (Quelle: Canva)

Der Lehrberuf ist die wichtigste Säule unseres Bildungssystems, doch die steigenden Anforderungen und Belastungen machen ihn zunehmend unattraktiv. Der Lehrkräftemangel in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren zu einer der zentralen Herausforderung für das Bildungssystem entwickelt und gefährdet damit langfristig die Qualität der Schulbildung. Diese Situation führt zu einer Überlastung der bestehenden Lehrkräfte und hat gravierende Auswirkungen auf die Qualität des Unterrichts. Besonders dramatisch zeigt sich die Problematik in den hohen Abbruchquoten unter Lehramtsstudierenden und Referendar:innen. Viele angehende Lehrer:innen geben den Beruf auf, bevor sie überhaupt eine feste Anstellung antreten, was den Lehrermangel noch weiter verschärft.

Die Gründe dafür sind vielfältig: Hohe Erwartungen, die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis, mangelnde Unterstützung und die enorme Arbeitsbelastung, die vor allem während des Referendariats spürbar wird. Die Frage, ob es sich lohnt, Lehrer:in zu werden oder ob man den Weg lieber frühzeitig verlassen sollte, beschäftigt daher viele angehende Lehrkräfte. Diese Entscheidung ist nicht nur eine persönliche Herausforderung, sondern hat auch weitreichende Konsequenzen für das Bildungssystem. 

Fast die Hälfte der angehenden Lehrkräfte entscheidet sich gegen den Beruf als Lehrer:innen

Von den etwa 52.500 Personen, die jährlich ein Lehramtsstudium beginnen, schließen nur ca. 30.300 dieses erfolgreich ab. Der Übergang ins Referendariat stellt eine weitere Hürde dar: Rund 30.600 Personen treten in diese Phase ein, wobei diese Zahl bereits 1.200 Quereinsteiger ohne Lehramtsstudium umfasst. Am Ende dieser Ausbildungsphase sind es nur noch etwa 28.300 Personen, die das Referendariat erfolgreich abschließen und in den Schuldienst eintreten. Das ist das Ergebnis einer Analyse des Stifterverbands, die die Zahl der Studienanfänger:innen mit den tatsächlich in den Schuldienst eingetretenen Lehrkräften im Zeitraum von 2017 bis 2021 verglichen hat. 

Die Zahlen sind alarmierend, da sie zeigen, dass fast die Hälfte der angehenden Lehrkräfte ihren Weg in den Beruf nicht bis zum Ende geht. Die Gründe für diesen Rückgang sind vielschichtig und reichen von persönlichen Zweifeln bis hin zu strukturellen Problemen im Bildungssystem. Der Lehrermangel, der sich aus diesen hohen Abbruchquoten ergibt, hat bereits jetzt deutliche Auswirkungen auf den Schulalltag. Viele Schulen sind unterbesetzt, Klassen werden zusammengelegt, und die verbleibenden Lehrer:innen müssen zusätzliche Aufgaben übernehmen. 

Bettina Jorzik vom Stifterverband betont, dass der Lehrkräftemangel, der insbesondere in den MINT-Fächern zu spüren ist, weitreichende Folgen hat: “Wenn wir keine Lehrkräfte dafür haben, findet dieser Unterricht nicht in der Qualität statt, in der er stattfinden muss, weil die vorhandenen Lehrkräfte gar nicht die Zeit haben, sowohl die besonders leistungsschwachen als auch die besonders leistungsstarken Schüler individuell zu fördern”.

Kaum Praxiserfahrungen während des Studiums

Die Gründe, warum viele Lehramtsstudierende ihr Studium nicht abschließen, sind oft komplex und individuell. Ein zentrales Problem ist die Diskrepanz zwischen den Erwartungen, mit denen viele Studierende ihr Lehramtsstudium beginnen, und der Realität, die sie im Laufe ihres Studiums erleben. Viele angehende Lehrer:innen haben eine idealisierte Vorstellung vom Beruf: Sie wollen junge Menschen prägen, Wissen vermitteln und einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leisten. Doch im Laufe des Studiums werden sie mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert, die ihre anfängliche Begeisterung dämpfen.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Struktur des Lehramtsstudiums selbst. Viele Studierende empfinden die theoretische Ausbildung als zu abstrakt und wenig praxisnah. Der Mangel an praktischen Erfahrungen während des Studiums führt dazu, dass viele Studierende sich schlecht auf den Schulalltag vorbereitet fühlen. Dies kann zu erheblichen Zweifeln an der eigenen Eignung für den Beruf führen und letztlich zu einem Studienabbruch.

Hinzu kommt, dass die Arbeitsbedingungen im Lehramtsstudium oft als belastend empfunden werden. Die Kombination aus hohem Leistungsdruck, umfangreichen Studieninhalten und wenig flexiblen Studienstrukturen erschwert es vielen Studierenden, ihr Studium erfolgreich abzuschließen. Zudem fühlen sich viele Studierende in dieser Phase nicht ausreichend unterstützt. Die Betreuung durch Dozent:innen und Mentor:innen wird oft als unzureichend empfunden, was zu einem Gefühl der Isolation und Überforderung führen kann.

Referendariat: Herausforderungen und Überforderung

Das Referendariat gilt als eine der anspruchsvollsten Phasen in der Lehrerbildung. Hier treffen die angehenden Lehrer:innen erstmals auf den realen Schulalltag und müssen sich gleichzeitig in der Rolle als Lernende und Lehrende beweisen. Der Druck, der in dieser Phase entsteht, ist enorm. Referendar:innen müssen nicht nur eigenständig unterrichten, sondern auch zahlreiche Unterrichtsbesuche, Prüfungen und Lehrproben absolvieren, die über ihren zukünftigen Berufsweg entscheiden.

Viele Referendare berichten von einer extremen Arbeitsbelastung und einem hohen Maß an Stress. Die Anforderungen, die von Schulen, Seminarleitungen und Prüfern gestellt werden, sind hoch, und der Spielraum für Fehler ist gering. Hinzu kommt, dass die Referendare oft in ein bestehendes Kollegium integriert werden müssen, in dem sie sich zunächst beweisen und Anerkennung erarbeiten müssen. Dies kann zu einem Gefühl der Unsicherheit und ständigen Überforderung führen.

In dieser Phase fühlen sich viele Referendar:innen alleine gelassen und sind unsicher, ob sie den Anforderungen des Lehrer:innenberufs gewachsen sind. Diese Unsicherheit kann dazu führen, dass viele den Berufswunsch aufgeben, bevor sie überhaupt ihre erste eigene Klasse übernehmen.

Sinkende Attraktivität des Berufs

Der Lehrerberuf hat in den letzten Jahren sehr an Attraktivität verloren. Viele Lehrer:innen fühlen sich von der Gesellschaft nicht ausreichend wertgeschätzt und durch die zunehmenden Herausforderungen im Schulalltag überfordert. Die Arbeitsbelastung hat stark zugenommen, und viele Lehrkräfte berichten von einem hohen Maß an Stress und Überarbeitung. Dies betrifft nicht nur die Unterrichtsverpflichtungen, sondern auch die Vielzahl an administrativen Aufgaben, die Lehrer:innen heute übernehmen müssen.

Lehrer:innen sehen sich mit einer zunehmenden Bürokratisierung des Lehrerberufs konfrontiert, die den Schulalltag zunehmend komplizierter macht. Dies führt dazu, dass viele Lehrer:innen das Gefühl haben, ihre eigentliche pädagogische Arbeit nicht mehr im gewünschten Maße ausüben zu können. Auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich verändert. Der Respekt gegenüber dem Lehrerberuf hat in den letzten Jahren abgenommen, was viele Lehrkräfte als demotivierend empfinden.

Zudem hat sich die Schülerschaft in den letzten Jahren stark verändert. Lehrkräfte müssen heute mit einer zunehmend heterogenen Schulgemeinschaft umgehen, die unterschiedliche sprachliche, kulturelle und soziale Hintergründe mit sich bringt. Dies erfordert eine hohe Differenzierungs- und Förderkompetenz, was für Lehrkräfte eine zusätzliche Belastung ist.

Wie umgehen mit Zweifeln?

Trotz der zahlreichen Herausforderungen, denen angehende Lehrkräfte gegenüberstehen, gibt es Möglichkeiten, Zweifel zu überwinden und den Traum vom Lehrer:innenberuf zu verwirklichen. Ein wichtiger Schritt ist es, sich frühzeitig mit den realen Anforderungen des Berufs auseinanderzusetzen und sich darauf vorzubereiten. Praktika und Hospitationen während des Studiums können dazu beitragen, ein realistisches Bild vom Schulalltag zu bekommen und eigene Fähigkeiten und Grenzen besser einschätzen zu können.

Auch die persönliche Resilienz spielt eine wichtige Rolle. Es ist entscheidend, dass angehende Lehrkräfte lernen, mit Stress und Belastungen umzugehen. Hier können gezielte Schulungen und Fortbildungen helfen, die eigenen Fähigkeiten zu stärken und Strategien zu entwickeln, um mit schwierigen Situationen umzugehen. Die Fähigkeit zur Selbstreflexion und das Bewusstsein für die eigene Belastbarkeit sind ebenfalls wichtige Faktoren, um die Herausforderungen des Lehrerberufs erfolgreich zu meistern.

Zudem ist es wichtig, ein starkes Unterstützungssystem aufzubauen. Der Austausch mit anderen Lehramtsstudierenden, Referendar:innen und erfahrenen Lehrkräften kann dabei helfen, Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen und sich gegenseitig zu motivieren. Auch die Inanspruchnahme von Mentoring-Programmen und Beratungsangeboten kann dazu beitragen, Unsicherheiten abzubauen und den Berufseinstieg zu erleichtern.

Alternativen nach einem Lehramtsstudium

Für diejenigen, die trotzdem zu dem Entschluss kommen, dass der Beruf als Lehrer:in nicht der richtige Weg für sie ist, gibt es verschiedene Alternativen, die auf den im Lehramtsstudium erworbenen Qualifikationen aufbauen. Viele Lehramtsabsolventen finden in der Erwachsenenbildung, in der Unternehmensberatung oder im Bereich der Bildungsforschung interessante Tätigkeitsfelder. Auch der Bereich der Weiterbildung und Schulung in Unternehmen bietet zahlreiche Möglichkeiten, das im Studium erworbene Wissen einzusetzen.

Ein weiteres Betätigungsfeld ist die Arbeit in Nichtregierungsorganisationen oder im öffentlichen Dienst, wo die pädagogischen und didaktischen Fähigkeiten von Lehramtsabsolvent:innen gefragt sind. Auch in Verlagen, insbesondere im Bereich der Lehr- und Lernmittelproduktion, können Lehrkräfte wertvolle Beiträge leisten. Die Fähigkeiten, die während des Lehramtsstudiums und im Referendariat erworben werden, sind vielseitig einsetzbar und eröffnen eine breite Palette an beruflichen Möglichkeiten, die über den klassischen Schuldienst hinausgehen.

Außerdem bietet sich die Möglichkeit, einen Fachabschluss in einem der studierten Fächer anzustreben. Meistens fehlen dazu nur noch wenige Lehrveranstaltungen, wodurch man in relativ kurzer Zeit einen Studienabschluss erreichen und so einen neuen Berufsweg einschlagen kann.

Fazit

Der Beruf als Lehrer:in steht vor großen Herausforderungen, die viele angehende Lehrkräfte dazu veranlassen, ihren Berufswunsch zu überdenken. Der hohe Abbruch im Lehramtsstudium und im Referendariat zeigt, dass viele junge Menschen vor den Anforderungen des Berufs zurückschrecken und sich für einen alternativen Weg entscheiden. Es ist Aufgabe der Politik dafür zu sorgen, dass die Voraussetzungen für den Beruf als Lehrkraft gut sind, um so ausreichend neue Lehrer:innen gewinnen zu können und den aktuellen Lehrermangel zu bekämpfen.

Wichtig ist es, die eigenen Zweifel ernst zu nehmen, sich gut vorzubereiten und Unterstützung zu suchen, um die Herausforderungen des Berufs zu meistern. So gelingt es, einen guten Einstieg in den Beruf als Lehrer:in zu haben und sein Ziel, junge Menschen auf ihrem Bildungsweg zu begleiten, zu erreichen.

Anzeige

Mehr zum Thema

Mehr vom Autor

Neuste Artikel

Kommentare

Zurück nach oben Icon
No items found.