Im Jahr 2022 erschütterten uns nun bereits mehrere Amokläufe von jungen Menschen an Bildungseinrichtungen. Es ist schwer zu verstehen, wie es zu solch wahllosen Gewaltausbrüchen kommen kann. Je stärker die Verunsicherung durch ein derart brutales Phänomen, desto größer ist auch das Verlangen der Menschen, eine Erklärung zu finden. Das führte in der Vergangenheit zu vielen, teilweise mit Medienangst beladenen Kontroversen um die Frage nach dem „Warum?“ bei Amokläufen.
Prominent ist die Debatte um die sogenannten Killerspiele. Ego-Shooter standen schon vor 20 Jahren im Verdacht, die Aggressivität von Jugendlichen zu steigern und so für mehr reale Gewalt zu sorgen. Dieser alte Vorwurf über einen Zusammenhang zwischen medial erlebter und realer Gewalt lässt sich in der Medienforschung jedoch für kein Medium belegen. So wird man durch Kriminalromane oder den Tatort im Fernsehen weder zum Killer noch zum Kommissar. Jedoch will die Killerspieldebatte nicht verschwinden. So äußerte Thomas de Maizière sich noch 2016 auf unsachliche und populistische Weise über Ego-Shooter, indem er behauptete, dass kein „vernünftiger Mensch“ die „schädliche Wirkung“ dieser Spiele bestreiten könne. Horst Seehofer meint einen Zusammenhang zwischen Kriminalität und Computerspielen zu erkennen und rät deshalb im Sinne eines Generalverdachts die Gamerszene stärker zu überwachen.
Forderungen nach stärkerer Zensur von Computerspielen wurden in der Novellierung des Jugendschutzgesetzes im Jahr 2003 umgesetzt. Amokläufe finden jedoch weiterhin statt – es sind vielfältige Faktoren zu beachten, um zu verstehen, wie es zu derartigen Gewalttaten kommen kann.
Gegen die These, dass die medial erlebte Gewalt in beispielsweise Ego-Shootern Amokläufe auslösen, sprechen ebenfalls, die sich häufenden anderen Charaktermerkmale, welche die Täter gemeinsam haben. Der frühe Umgang mit realen Waffen in Schießvereinen, welcher zu den typischen Merkmalen von Amoktätern gehört, ist alarmierend. Die gesetzliche Regelung in Bezug auf das Mindestalter für Schießvereine ist vage – im deutschen Schützenbund dürfen Kinder ab 12 Jahren schießen üben. In den Satzungen anderer Schießvereine liegt das Mindestalter sogar noch darunter.
Dabei haben sich entlang der bisherigen Gewalttaten einige typische Merkmale herausgestellt: Zumeist handelt es sich um junge Männer, welche auch im Vorfeld der Tat bereits auffällig gewesen sind. Oft wird Gewalt vom Täter und seinem Umfeld als Lösung akzeptiert. Meistens haben die Täter ein einschneidendes Erlebnis, wie einen Schulverweis, erlebt, welcher zum Verlust des sozialen Status und häufig zur Isolation führte. Auch der Umgang mit realen Waffen verbindet viele der Täter. Ebenfalls ist ein typischer Verlauf mit verschiedenen Stationen zu erkennen: Der Auslöser ist häufig der Verlust der sozialen Ordung, im Vorstadium ist der Täter isoliert und zurückgezogen, dann erfolgt der wahllose Ausbruch von Gewalt, die sich am Ende häufig gegen den Täter selbst richtet und dann nicht selten zum Suizid führt.
Inzwischen hat sich das Verständnis und die Deutungsweisen bei Amoktaten verändert. In der Berichterstattung liegt der Fokus nun mehr auf dem sozialen Hintergrund von Amoktätern wie psychische Krankheiten und Einschränkungen in der Sozialkompetenz. Viele Täter handeln aus Fremden- oder Frauenhass. In Internetforen organisieren sich beispielsweise Incels, welche sich über ihren Frauenhass austauschen und sich gegenseitig in ihrem Hass bestärken. Deren Gewaltvorstellungen werden immer häufiger zu realen Kriminal- und Amoktaten. Immer wieder ist zu beobachten, dass Gaming-Plattformen, auf welchen Spieler*innen miteinander kommunizieren, missbraucht werden, um rechtswidrige und hassschürende Inhalte zu verbreiten und Anhänger für rechtsextremistische Ideologien zu gewinnen.
Die Wirkung der Berichterstattung der Medien darf nicht unterschätzt werden, sogenannte medial ausgelöste Nachahmungseffekte sind wissenschaftlich belegt. Der deutsche Presserat hat deswegen spezielle Empfehlungen für die Berichterstattung über Amoktaten veröffentlicht. Medien sollten in der Berichterstattung Distanz wahren und diskret bleiben, was die Identität, das Motiv und die Fantasien des Täters anbelangt, um die Mythenbildung möglichst gering zu halten und die Privatsphäre der involvierten zu schützen.
Auch wenn diese Prinzipien häufig in der Berichterstattung nicht eingehalten wurden, sind sie dennoch wichtig für die Vermeidung möglicher Nachahmungseffekte von Amoktaten und den Opferschutz. Ebenfalls wurden die Notfallabläufe bei Amoktaten in Bildungseinrichtungen weiterentwickelt und haben sich verbessert, um im Ernstfall schnell und zur Sicherheit alle zu handeln.
Hilfe und Beratung für alle, die etwas bedrückt, gibt es rund um die Uhr bei diversen Anlaufstellen. Bei Krisen und Problemen in allen Lebenslagen findet man Unterstützung beim Familienportal und bei der Nummer gegen Kummer. Speziell um die Fürsorge für Opfer von Gewalttaten und Kriminalität kümmert sich der Weiße Ring. Die Möglichkeiten, Hilfe zu bekommen, sind vielseitig und Anfragen werden dort stets mit höchster Diskretion behandelt. Wichtig ist, dass Eltern und Schüler*innen über die Möglichkeiten der Seelsorge Bescheid wissen. Lehrkräfte, die sich Sorgen um Schüler*innen machen, können auf die Anlaufstellen und Möglichkeiten verweisen und auch selbst Hilfe bekommen.
Was sind eure Erfahrungen rund um die “Killerspieldebatte”? Welche Veränderungen bezüglich der Skepsis gegenüber der Rolle von Computerspielen nehmt ihr wahr? Schreibt es uns gerne in die Kommentare. Mehr zum Thema Computerspiele im Unterricht gibt es hier.