Muss die Arbeitszeit von Lehrkräften bald erfasst werden? (Quelle: Envato)
Berlin. In der Debatte um eine Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte wächst der Druck auf die Politik. Lehrerverbände und Gewerkschaften kämpfen für die verpflichtende Arbeitszeiterfassung und können sich in ihrer Forderung auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von 2019 stützen, nachdem diese auch für den Lehrberuf verpflichtend ist. Die Kultusministerkonferenz (KMK) bemüht sich weiter um eine Ausnahmeregelung. Wir geben einen Überblick, wie es in der lang anhaltenden Debatte steht.
Gerichtsurteile verpflichten, KMK will Ausnahmeregelung
Rechtlich ist die Sache eigentlich klar. Im Jahr 2019 hat der EuGH das Urteil gefällt, dass die nationalen Gesetzgeber Arbeitgeber zur Arbeitszeiterfassung verpflichten müssen. In Deutschland wurde dafür bisher noch keine gesetzliche Regelung gefunden. Ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) von 2022 sieht deutsche Arbeitgeber jedoch in der Pflicht, die Arbeitszeit zu erfassen. Weil aber die Definition von Arbeitnehmer:innen in Deutschland Beamte nicht mit einschließt, argumentieren die Kultusministerien für eine Ausnahmeregelung.
Die Arbeitszeit von Lehrkräften sei nur zum Teil messbar. So lautete die Argumentation in einem Schreiben von der KMK-Vorsitzenden, Berlins Bildungssenatorin Günther-Wünsch, an das Bundesarbeitsministerium (BMAS). Die Unterrichtsstunden seien zwar klar erfassbar, doch für die außerunterrichtlichen Tätigkeiten gelte das nicht, diese seien im Arbeitsumfang nicht zu prognostizieren. Der aktuelle Referentenentwurf sieht keine entsprechende Ausnahme für Beamte vor. Die Forderung danach lehnt das BMAS, mit Verweis auf das EuGH-Urteil, bisher ab.
Warum die Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte wichtig ist
Per App oder Zeiterfassungsbogen wäre es möglich, die Arbeitszeit flexibel zu dokumentieren. Das eigentliche Problem für die Kultusministerien dürfte eher darin liegen, dass Lehrkräfte tatsächlich mehr arbeiten als vorgesehen. Bildungsinfluencer Bob Blume hebt diesen Punkt in seinem Gastartikel bei FOCUS-online hervor und verweist auf eine Studie, wonach Lehrkräfte bis zu 50 Stunden pro Woche arbeiten. Sie zeige, dass “dass das Klischee des vormittags arbeitenden und nachmittags faulenzen Lehrers nicht stimmt". Durch eine Ausnahmeregelung könne “weiterhin nicht gesehen werden [...] wie viel Mehrarbeit in den unterschiedlichsten Bereichen von Digitalisierung bis Inklusion und Integration Lehrkräfte leisten", mahnte Blume.
Die Arbeitszeiterfassung würde diesen Missstand, von dem die öffentlichen Arbeitgeber profitieren, offenlegen. Der Philologenverband Baden-Württemberg arbeitet laut dem Vorsitzenden Ralf Scholl bereits daran, die Arbeitszeiterfassung vom Land einzuklagen. Darüber hinaus sollen weitere Studien die Mehrarbeit der Lehrkräfte belegen. So unterstützt die GEW eine Arbeitszeitstudie in Berlin für das aktuelle Schuljahr. Auch in Hamburg ist eine solche Studie im zweiten Halbjahr geplant. Insgesamt soll die Arbeitszeit von tausenden Lehrkräften auf die Minute genau erfasst werden. Es wird erwartet, dass das Ergebnis die bisherigen Eindrücke bestätigt: Lehrkräfte arbeiten oft mehr als die vorgesehenen 41 Zeitstunden pro Woche.
Damit lässt sich auch der Bogen zum EuGH-Urteil schlagen. Denn darin geht es explizit darum, die Arbeitnehmer:innen vor Mehrarbeit zu schützen. Lehrerverbände wollen dafür sorgen, dass dies auch für Lehrkräfte gilt. Nach jetzigem Stand scheint auch das BMAS das so zu sehen. Man darf gespannt sein, ob es die laufenden Studien schaffen, der KMK Druck zu machen. Dann könnten die Länder endlich gezwungen sein, den erheblichen Zeitaufwand von Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, Korrekturen, Aufsichten, Verwaltungstätigkeiten sowie Besprechungen mit Schüler:innen, Eltern und dem Kollegium zu erfassen. Dies ist sicher ganz im Interesse der Lehrkräfte.