Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kam vom 21. bis 24. Juli in Leipzig zusammen, um auf dem außerordentlichen Gewerkschaftstag 2022 neue Anträge zu verabschieden und über drängende Themen der Bildungslandschaft zu debattieren. Der Gewerkschaftstag ist dabei das höchste Beschlussgremium der GEW, auf dem 432 Delegierte über die Positionen der GEW zu bildungs- und tarifpolitische Themen entscheiden. Die wichtigste Forderung der GEW ist dabei die Herabsetzung der Zahl der wöchentlichen Unterrichtsstunden, damit Lehrer:innen mehr Zeit haben, qualitativ guten Unterricht vorzubereiten. Eine Reduzierung der Pflichtstunden sei der „Schlüssel zur Entlastung“, sagte der GEW-Experte für Tarif- und Beamtenpolitik, Daniel Merbitz. Die GEW liefert selbst eine Übersicht zu den Themen der Sitzungen, diese findet Ihr hier und hier.
Die wichtigsten Aspekte des Gewerkschaftstags in Kürze zusammengefasst:
„In den kommenden fünf bis sechs Jahren fehlen uns 200.000 Beschäftigte in der frühkindlichen Erziehung und 250.000 in den Schulen“, sagte die GEW-Vorsitzende Maike Finnern bereits vor dem Auftakt des Gewerkschaftstages. Dieser Missstand habe zwei Konsequenzen: Vorhandene Lehrkräfte seien überlastet, weswegen Reformen im Lehrberuf gefordert werden, außerdem solle der Lehrberuf attraktiver gemacht und Qualifikationshürden abgebaut werden.
Hierfür setzte sich auch die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Yasmin Fahim ein. Sie sicherte der GEW Unterstützung für zahlreiche bildungspolitische Vorhaben zu. Dazu zählten das Vorgehen gegen den Fachkräftemangel, die Stärkung der beruflichen Bildung, eine Aufwertung des Sozial- und Erziehungsdienstes, ein Wegfall des Schulgeldes bei der Ausbildung in Erziehungsberufen, eine Besoldung nach A13 für alle Schulformen, mehr politische Bildung an Schulen, eine BAföG-Strukturreform und das Engagement für ein Wissenschaftsentfristungsgesetz. Bund und Länder müssten nochmals an ihr Versprechen aus dem Oktober 2008 erinnert werden, die Ausgaben für Bildung und Forschung auf 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern.
Um den Teufelskreis aus Überlastung und Fachkräftemangel zu durchbrechen, setzte die GEW ihr Arbeitszeitpolitik außerdem konsequent fort: Die Delegierten stimmten für einen Antrag, der neben der Erwerbs- auch die Sorgearbeit, Weiterbildung sowie politisches und ehrenamtliches Engagement in den Blick nimmt. Eine Kernforderung bleibt die gewerkschaftliche Forderung nach einer Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich. „Wir müssen Vollzeitbeschäftigung neu definieren“, betonte GEW-Vorstandsmitglied Frauke Gützkow. Außerdem fordert die GEW ein Recht auf Teilzeit sowie ein Rückkehrrecht auf Vollzeit in allen Organisationsbereichen. Dieser Einsatz für flexible Arbeitszeiten müsse mit dem Engagement gegen unfreiwillige Teilzeit und prekäre Arbeitsbedingungen einhergehen – Erzieher:innen und Lehrer:innen sollen sich Teilzeit auch leisten können.
Außerdem fordert die GEW ein einphasiges und duales Masterstudium als zweiten Regelweg zum Lehramt an berufsbildenden Schulen, um zusätzliche Fachkräfte auszubilden. Für das duale, einphasige Lehramtsstudium sollten mindestens drei Jahre Berufserfahrung vorausgesetzt werden. Das Studium selbst solle je nach Vorqualifikation zwei bis vier Jahre dauern.
Um die Löcher in der Bildungslandschaft zu stopfen erklärte die GEW das Motto „Ungleiches ungleich behandeln“ zur Methode. Überforderte oder schlechter situierte Schulen müssten mehr Förderung erhalten. Dies geht mit der Warnung vor einer Erosion von Chancengleichheit einher: Kinder müssten in ganz Deutschland die selbe Chance auf die selbe Bildung haben, ein Grundsatz, der durch stark unterschiedlich leistungsfähigen Schulen bedroht ist. Während Deutschlands Schulen jedes Jahr 50.000 Jugendliche ohne Abschluss entließen habe sich diese Zahl in den vergangenen beiden Pandemiejahren verdoppelt. Dies steht in Verbindung mit den zum Teil nur mangelhaft finanzierten digitalen Bildungsangeboten der Schulen.
Bundeskanzler Olaf Scholz sprach per Videobotschaft ebenfalls auf dem Gewerkschaftstag und sprach genau diese drohende Ungleichheit an: „Wir brauchen ein Bildungssystem, das jedem und jeder die Chancen auf einen Bildungsweg eröffnet, den er oder sie einschlagen möchte“, sagte Scholz in seiner Videobotschaft. „Gute Bildung darf nicht von der Herkunft, dem Geldbeutel oder dem Wohnort abhängen.“. Zudem verwies er darauf, dass jeder Bildungsabschluss wichtig sei und anerkannt gehöre. Es müsse nicht immer das Abitur und ein Hochschulstudium sein, auch eine Berufsausbildung sei eine gute Grundlage für einen erfolgreichen Bildungsweg.
Videobotschaft des Bundeskanzlers Olaf Scholz an die GEW
Quelle: Youtube
Um die Bildungsgleichheit zu gewährleisten verabschiedeten die Delegierten unter anderem einen Dringlichkeitsantrag, der eine deutliche Erhöhung der studentischen Ausbildungsförderung auf 1.200 Euro fordert. Aktuell liegt der Höchstbetrag bei monatlich 752 Euro (mit Zuschlag zu Kranken- und Pflegeversicherung bei 862 Euro). Das sogenannte BAFÖG solle außerdem elternunabhänger gestaltet werden, die GEW sieht dort erheblichen Nachbesserungsbedarf in der Bundespolitik.
Auch aktuelle politische Diskurse fanden ihren Platz auf dem Gewerkschaftstag. Die Ukrainekrise veranlasste die GEW noch einmal im Besonderen dazu, die Voraussetzungen für eine schnellstmögliche Integration Geflüchteter zu fordern. Bund und Länder sollten die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen in Kitas, Schulen und Hochschulen, sowie eine berufliche Qualifizierung ermöglichen. Der Krieg in der Ukraine habe Millionen Menschen, insbesondere Frauen und Kinder, in die Flucht gezwungen. Deutschland und seine Bildungseinrichtungen müssten ein sicherer Zufluchtsort für alle Geflüchteten sein.
Beschlossen wurde außerdem der Antrag „Es gibt keine Arbeit auf einem toten Planeten – für ein lebendiges Klima in Lehre und Forschung“. Künftig will sich die GEW noch stärker in Debatten über die Folgen des Klimawandels für Hochschulen und Forschungsinstitute, die zugleich auch Lehr- und Lernorte seien, einmischen. Der Begriff Klima wird dabei weit gespannt und zusammen mit sozialer Gerechtigkeit gedacht: Klimaschutz sei mehr als Energiesparen und Müllvermeidung, eine sozial-ökologische Transformation brauche vielmehr ein ganzheitliches Konzept. Hochschulen und Forschungsinstitute müssten dabei eine Vorreiterrolle einnehmen. Dieser Vorstoß der GEW liegt auf einer Linie mit einer Positionierung und Engagement gegen Kinderarbeit. Seit 2011 engagieren sich Ehrenamtliche der GEW-Stiftung „fari childhood“ auf diesem Feld. „Der Kampf gegen Kinderarbeit gehört zur DNA jeder Gewerkschaft“, sagt Marlis Tepe, Vorstand der Stiftung, die dieses Jahr mit Standing Ovations ihr Amt niederlegte. „Wir kämpfen für gute und faire Arbeitsbedingungen, und wir kämpfen auch politisch gegen Kinderarbeit“. Dass die GEW dabei gehört wird, zeige die Verabschiedung des deutschen Lieferkettengesetzes im zurückliegenden Jahr.
Eine weitere Frage der sozialen Gerechtigkeit bearbeitete die GEW mit den Forderungen, Kinder aus der Armut zu holen und soziale Arbeiter:innen an Schulen zu stärken. „Jedes Kind in Deutschland soll gute Chancen auf Teilhabe und Bildung haben, und zwar von Anfang an“, sagte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) in ihrer Videobotschaft an die Delegierten des GEW-Gewerkschaftstages. Dies will die Ministerin durch ein Qualitätsentwicklungsgesetz und bundesweite Standards erreichen. Mit einem Investitionsprogramm in Höhe von 2,75 Milliarden Euro werde der Bund Länder und Kommunen bei einer zuverlässigen und guten Ganztagsbildung unterstützen, auch, um neue Fachkräfte für eine gute Ganztagsbildung zu gewinnen.
Was haltet Ihr von den Forderungen der GEW? Sind sie umsetzbar, sind sie sinnvoll? Schreibt uns eure Meinung in die Kommentare!