Ibbenbüren. Am 14. Januar wurde eine Lehrerin durch einen 17-jährigen Jugendlichen an einem Berufskolleg im nordrhein-westfälischen Ibbenbüren erstochen. Der Schüler soll ein “klassischer Typ Großkotz” gewesen sein. Es ist nicht der erste Fall, bei dem es zu gewaltvollen oder sogar tödlichen Übergriffen an Schulen kommt. Seit der Corona-Pandemie haben diese zugenommen und stehen laut Verband Bildung und Erziehung (VBE) an der Tagesordnung. Dies führe unter anderem zu einem “dramatischen Rückgang der Berufszufriedenheit von Schulleitungen”, so der Bundesvorsitzende des VBE, Udo Beckmann. Wie sicher sind die Schulen noch? Lehrer-News wirft einen aktuellen Blick auf die Lage.
Nicht nur Gewalt prägt an vielen Schulen Deutschlands den Schulalltag, sondern auch Mobbing, Beleidigungen, Bedrohungen und Belästigungen nehmen zu. In den letzten Jahren habe sich die Gewalt gegen pädagogisches Personal auf einem “hohen Niveau eingependelt”, erklärt der VBE-Präsident. Beckmann betont, dass es in den letzten fünf Jahren an 20.000 allgemein berufsbildenden Schulen zu psychischer Gewalt kam. Weitere 10.000 berichten von Cybermobbing sowie körperlicher Gewalt. Der Schutz der Lehrkräfte müsse in der politischen Tagesordnung dringend mehr berücksichtigt werden.
Dabei unterscheiden sich die Arten von Gewalt je nach Schulform. So ist der Anteil der körperlichen Gewalt, an drei von vier Sonder- und Förderschulen doppelt so hoch wie im Durchschnitt. An Gymnasien hingegen stimmten lediglich sechs Prozent der Schulleiter:innen zu. An Sonder- und Förderschulen lag der Anteil der Cybermobbing-Attacken allerdings nur bei 13 Prozent, wohingegen sich dieser Anteil an anderen Schulformen auf 45 oder mehr Prozent beläuft. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung ergab, dass rund 60 Prozent der Schüler:innen von Gewalt jeglicher Art in der Schule betroffen seien und jeder vierte Schüler sich unwohl und unsicher fühle. Beckmann sieht dringenden Handlungsbedarf: Jede Form von Gewalt ist für ihn zu viel und müsse unterbunden werden. Die Politik sollte dringend handeln, Schulen müssen Orte ohne Gewalt sein. "Lehrer werden im Unterricht gegen ihren Willen gefilmt, es kommt zu verbaler Gewalt und auch zu körperlichen Übergriffen", merkt der Präsident des Nordrhein-Westfälischen Lehrerverbandes, Andreas Bartsch, an. Laut Bartsch würde es an einem strukturierten Vorgehen mangeln, welches dieses Verhalten zwischen Lehrkraft und Schüler:in auffangen könnte. Dazu kommt die Unsicherheit von Lehrer:innen, die nach solchen Ereignissen in ihnen hochkommt. Sie schämen sich dafür, haben schnell das Gefühl, ihre Klasse nicht unter Kontrolle zu haben und der nötige Respekt fehlt, um sich durchsetzen zu können.
Mit Blick auf die jüngsten Ereignisse aus Ibbenbüren meint Bartsch, dass es keine Täter:innen gäbe, die vorher nicht auf irgendeine Art und Weise aufgefallen wären. Dieses problematische Verhalten gelte es zu beobachten. “Offenheit und Transparenz” seien da wichtig, genauso wie der Einsatz psychologischer Dienste und Einrichtungen und eine verstärkte Sozialarbeit an den Schulen.
Die Frage, ob die Kolleg:innen ausreichende Unterstützung bei solchen Übergriffen bekommen hätten, verneinen ein Drittel der Schulleiter:innen. Das Problem sei laut VBE, dass viele Eltern und Schüler:innen nicht kooperationswillig seien. Aber auch die Überlastung durch die Fülle anderer Aufgabenbereiche oder der bürokratische Aufwand wurden als Gründe genannt. 34 Prozent der Schulleiter:innen gaben an, dass die Schulverwaltung diesem Anliegen nicht genug Aufmerksamkeit schenken würde und sie klein hält. Für Bartsch ist solch eine Haltung “schlichtweg ein Skandal”. Für ihn gehöre es zur Fürsorgepflicht, derartigen Anliegen gründlich nachzugehen - es sei das Mindeste, was man für Lehrer:innen tun könnte, um sie beruhigter nach Hause gehen zu lassen.
Betrachtet man Problem- bzw. Brennpunktschulen, gibt es auch positive Wendungen. In Berlin machte ein Brandbrief die Rütli-Schule 2006 zu einer deutschlandweiten Brennpunktschule. Türen, die eingetreten wurden, Knallkörper, sowie eine anarchistische Haltung gegenüber den Lehrkräften machten die Schule in Berlin zu einem Krisen-Hotspot. Heute, mehr als 15 Jahre später, ist von der ehemaligen Problemschule nichts mehr zu erkennen. Der Campus Rütli wurde neu gegründet, knapp 1000 Schüler:innen kommen hier zum Lernen zusammen. Die Schule habe heutzutage mehr Anmeldungen als freie Plätze.
Das Thema Gewalt jeglicher Art an Schulen rückt aktuell immer mehr in den Fokus. Es ist unabdingbar, in Zukunft strukturelle Veränderungen vorzunehmen, um Gewalttaten einzuschränken und angemessen mit ihnen umzugehen. Die steigenden Krawalle an Schulen sollten laut Expert:innen so nicht hingenommen werden.
Wie ist dieser Zustand an euren Schulen? Erlebt ihr täglich Gewalt oder Mobbing? Fühlt ihr euch in diesen Situationen unterstützt? Schreibt es gerne in die Kommentare.