Die Bewohner Offenburgs spenden ein Meer aus Kerzen für den verstorbenen 15-Jährigen. (Quelle: Canva)
Offenburg. Kommende Woche soll es wieder mehr Unterricht an der Offenburger Waldbachschule geben, nachdem dort ein 15-Jähriger am 9. November seinem gleichaltrigen Klassenkameraden zweimal in den Kopf geschossen und somit tödlich verwundet hatte. Damit will sich die Schule „allmählich und behutsam” wieder einem normalen Schulalltag nähern, wie eine Behördensprecherin der Stuttgarter Zeitung mitteilte.
Nachdem die Schule am Montag nach der Tat erstmals wieder geöffnet wurde, stand anstatt des gewohnten Unterrichts sowohl die psychologische Betreuung der Schüler:innen als auch die Aufarbeitung der Tat und ihrer Folgen bevor. Dafür gab es Unterstützung von sechs Psycholog:innen, wie der leitende Regierungsschuldirektor Werner Nagel angab. Diese würden mit den Betroffenen sowohl Einzel- als auch Gruppengespräche führen. Anstelle der Vermittlung unterrichtsrelevanter Themen sollen auch die Lehrkräfte ihren Schüler:innen in der vergangenen Woche Beistand geleistet haben. „Die Lehrer holen die Schüler vor dem Gebäude ab und gehen mit ihnen gemeinsam hinein", so Nagel. Nun soll seit dem vergangenen Donnerstag nach und nach wieder mehr normaler Unterricht stattfinden.
Die Waldbachschule in Offenburg ist ein sogenanntes „Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum mit Förderschwerpunkt Lernen“. Auf der Schul-Website schreibt die Schulleitung, dass die Psycholog:innen „für euch alle da sein werden“. Auch ein Hinweis bezüglich weiterhin bestehenden Polizeipräsenz an der Schule wird gegeben.
Aktuell befindet sich der mutmaßliche Täter in Untersuchungshaft in einer Jugendjustizvollzugsanstalt. Der derzeitige Tatvorwurf lautet „Totschlag”, wie die Leiterin der Staatsanwaltschaft Iris Janke auf einer Pressekonferenz am vergangenen Dienstag mitteilte. Eine Anklage wegen Mordes sei ebenfalls möglich, sofern die Ermittlungen neue Erkenntnisse zu besonderen Mordmotiven vorbringen sollten. Die leitende Staatsanwältin gab an, dass für den 15-Jährigen das Jugendstrafrecht gelte und eine altersgemäße Reifeentwicklung noch geprüft werden müsse. Dafür werde ein jugendpsychiatrischer Sachverständiger für ein Gutachten beauftragt.
Laut Jugendstrafrecht könnte den Täter eine Freiheitsstrafe von maximal zehn Jahren erwarten. Sollten die Behörden anschließend jedoch vermuten, dass er für die Öffentlichkeit weiterhin gefährlich sein könnte, wäre eine zusätzliche Überführung in den Maßregelvollzug möglich.
Bei der Schusswaffe, mit der der Jugendliche seinen Klassenkameraden erschoss, handelt es sich nach dpa-Informationen um eine alte Beretta 765, eine Selbstladepistole eines italienischen Herstellers. Diese soll der Täter von Zuhause mitgebracht haben, wodurch auch gegen die Eltern ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung und Verletzung der Aufsichtspflicht eingeleitet wurde. Beide Elternteile verfügen nicht über eine Berechtigung zum Besitz der Waffe.
Kurze Zeit nach der Tat hatten Ermittler:innen einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung eingeholt, der noch am Tattag genehmigt wurde. Laut Berichten der britischen Boulevardzeitung The Mirror soll der 15-Jährige seiner Mutter mitgeteilt haben, dass er zu krank sei, um zur Schule zu gehen. Sobald diese sich auf den Weg zur Arbeit gemacht hatte, habe sich der Jugendliche auf die Suche nach dem Schlüssel für einen alten Schrank seines Großvaters gemacht. Dort soll er die Waffe gefunden haben, die er kurze Zeit später mit zur Schule nahm. Außerdem soll er 50 zusätzliche Patronen mitgeführt haben, wie der Leiter des Polizeipräsidiums Offenburg mitteilte.
Der Vorfall hat sich am Donnerstag, 9. November, in der 9. Klasse des Tatverdächtigen abgespielt. Wie der leitende Kriminaldirektor Raoul Hackenjos in der Pressekonferenz mitteilte, seien zum Zeitpunkt der Tat neun Schüler:innen und zwei Lehrerinnen in der Klasse gewesen, vier weitere Schüler:innen sollen sich vor dem Klassenzimmer aufgehalten haben. Der Jugendliche soll in das Zimmer gekommen sein und seinem Klassenkameraden aus nächster Nähe zwei Mal in den Hinterkopf geschossen haben. Nachdem er am Versuch, eine Art Molotow-Cocktail zu zünden, scheiterte, verließ er das Klassenzimmer. Während sich die Klassenlehrerin um das 15-Jährige Opfer kümmerte, brachte die andere Lehrerin die Schüler:innen in ein angrenzendes Zimmer und schloss sich mit dieser dort ein. Der Täter soll später einen weiteren Schuss auf das Glas der inzwischen verschlossenen Tür des Tatklassenzimmers abgegeben und gegen diese getreten haben, so Hackenjos.
Auf dem Weg durch den Flur der Schule sei er einer Lehrerin begegnet, der er auf den Kopf geschlagen habe. Diese soll sich daraufhin in ihr Klassenzimmer zurückgezogen und die Tür abgeschlossen haben. Zudem begegnete der 15-Jährige auch der Schulleiterin, woraufhin er eine Flasche mit brennbarer Flüssigkeit in ihre Richtung warf, die beim Aufkommen zerbrach.
Anschließend traf er auf einen Vater, der wegen eines Termins an der Schule seiner Kinder war. Dieser sprach auf besonders besonnene Art und Weise mit dem Jugendlichen, wodurch er ihn dazu bringen konnte, die Waffe wegzulegen. Wie Jürgen Rieger, der Leiter des Polizeipräsidiums Offenburg, berichtete, konnte der Vater den Täter festhalten, bis die Polizei gegen 12:15 Uhr an der Schule eintraf und ihn festnahm.
„Die schreckliche Einzeltat hat unsere Stadt wie einen Schlag getroffen“, heißt es in einer Pressemeldung der Stadt Offenburg vom vergangenen Mittwoch. Die Stadtverwaltung sieht allerdings davon ab, eine große öffentliche Trauerfeier für die Stadtgemeinschaft zu organisieren, um die Familie des Opfers nicht zu überfordern. Sowohl diese, als auch die Familie des jugendlichen Täters stehen unter besonderem Schutz, weswegen die Gerichtsverhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden wird. Der Kontakt zur Familie des Opfers erfolgt ausschließlich über den Opferbeauftragten und die Waldbachschule. „Wir stellen die Gefühle der Familie vorne an“, betonte Oberbürgermeister Marco Steffens (CDU). Die Stadtverwaltung brachte ihr Beileid und ihre Sprachlosigkeit in einem Schreiben an die Familie zum Ausdruck, während die örtliche Bürgerstiftung St. Andreas ein Spendenkonto für die Trauerfamilie eingerichtet hat. Für hilfesuchende Kinder und Jugendliche wird zudem auf die psychologische Beratungsstelle der Caritas, die psychiatrische Institutsambulanz und Telefonseelsorge verwiesen.