Lehrkräfte in Sachsen-Anhalt müssen seit April eine verpflichtende Zusatzstunde ableisten. (Quelle: Canva)
Magdeburg. Acht Monate nach Einführung der Zusatzstunde für Lehrkräfte in Sachsen-Anhalt zieht das Landesbildungsministerium eine positive Bilanz. Die sogenannte Vorgriffsstunde war im April dieses Jahres verpflichtend eingeführt worden, um dem Lehrkräftemangel entgegenzuwirken. Seit Ende der Osterferien muss das Lehrpersonal wöchentlich eine Stunde mehr unterrichten. Beim Landeselternrat und der Bildungsgewerkschaft GEW stößt diese Einschätzung auf Kritik.
Lehrkräfte sollen sich die Zusatzstunde als Ausgleich auszahlen oder auf ihrem Arbeitszeitkonto gutschreiben lassen können. Die GEW hatte bereits im Februar gegen die verpflichtende Zusatzstunde geklagt. Zu den Kritikpunkten gehört unter anderem, dass die Lehrkräfte nicht in den Entscheidungsprozess mit einbezogen worden waren.
Nun zieht das Ministerium in Sachsen-Anhalt positive Schlüsse. Gemäß dem Ministeriumssprecher Elmer Emig gegenüber der Mitteldeutschen Zeitung wurden bereits 500 zusätzliche Stellen durch die Einführung der Vorgriffsstunde eingespart. Die Berechnung basiert darauf, dass laut des Ministeriums eine Vollzeitlehrkraft pro Schuljahr insgesamt etwa 1.000 Unterrichtsstunden leistet. Durch den verpflichtenden zusätzlichen Arbeitsaufwand konnten bisher etwa eine halbe Million Schulstunden abgesichert werden.
Bildungsministerin Eva Feßner (CDU) teilte der Mitteldeutschen Zeitung mit, dass sie die erreichten Ergebnisse als erfreulich erachte. Sie betonte, sowohl das Ministerium als auch die nachgeordneten Behörden könnten „stolz darauf sein, dass viele Punkte des bildungspolitischen Dialogs bereits umgesetzt oder auf den Weg gebracht wurden“. Aktuell arbeite das Ministerium weiter „an der Stabilisierung und Verbesserung der Situation im Land“.
Vonseiten des Landeselternrats wurden jedoch Zweifel an der Erfolgsmeldung aufgrund eines Mangels an belastbaren Zahlen geäußert. Laut Thomas Senger vom Landeselternrat könne man bisher noch nicht gesichert feststellen, dass die Vorgriffsstunde zu einer Reduzierung der Unterrichtsausfälle geführt habe. Jedoch würde man auch nicht die Zahlen der ausgefallenen Stunden kennen, wenn es die Zusatzstunde nicht gegeben hätte.
Die GEW kritisierte die positive Bilanz als „Fake“. Ihrer Einschätzung zufolge liegt die Unterrichtsversorgung an vielen Schulen, besonders an Sekundar- und Gemeinschaftsschulen, nicht einmal bei 90 Prozent. Zudem prognostiziert die GEW, dass die Schülerzahl in den nächsten zehn Jahren weiter steigen wird. Daher werde die bestehende Vorgriffsstunde aktuellen Anforderungen nicht gerecht, und die Arbeitsbedingungen hätten sich aus Sicht der GEW verschlechtert. Die Landesvorsitzende, Eva Gerth, äußerte am Donnerstag gegenüber dem MDR, dass die Vorgriffsstunde als eine Missachtung der Leistung der Lehrkräfte verstanden wird.
Auch die Partei Die Linke beharrt weiter auf ihrer Kritik an der zusätzlichen Stunde. Co-Fraktionsvorsitzende der Linken im Landtag, Eva von Angern, betonte, dass Lehrkräfte zu den Hauptleidtragenden unter dem Lehrkräftemangel gehörten. Sie sehe die Interessen und Probleme der Lehrkräfte nicht genügend berücksichtigt. Ihrer Ansicht nach sollte alles daran gesetzt werden, Lehrkräfte im Bildungssystem zu halten. Dies erfordere jedoch eher Motivation und Unterstützung statt restriktiver Maßnahmen.
Im September war einer Grundschullehrerin nach fast 40 Jahren im Dienst fristlos gekündigt worden, weil sie sich weigerte, die zusätzliche Pflichtstunde zu leisten (Lehrer-News berichtete). Daraufhin hatte sie vor dem Arbeitsgericht Stendal Klage auf Wiedereinstellung eingereicht. Bei einem Gütetermin im November konnten sich die Parteien laut MDR noch nicht einigen. Im kommenden Februar sollen die Hauptverhandlungen beginnen. Die Klage der Lehrerin stellt einen Präzedenzfall dar, der in Zukunft Klarheit über den verpflichtenden Arbeitsumfang von Lehrkräften in Sachsen-Anhalt bringen wird.